Lerchengesang und Gänsegeschnatter

Bericht von der Gänsezählung am 11. und 12.03.2023

Bläss- und Weißwangengänse / copyrigt: Bernd Schirmeister
Bläss- und Weißwangengänse / copyrigt: Bernd Schirmeister

An diesem Wochenende war der letzte Zähltermin des nationalen Gänsezensus in diesem Winterhalbjahr. Nach den Zählungen jeweils Mitte September, November und Januar waren wir erneut in den Schwerpunktgebieten der Gänserast auf der Insel Usedom und auf dem Festland entlang des Peenestroms im Einsatz.

 

Dabei ist der Märztermin der dynamischste von allen. Während der September vor allem der Erfassung der rastenden Graugänse gilt, sind im November außerdem die nordischen Arten zuverlässig zu beobachten, ebenso im Januar, abhängig von der Winterwitterung.

 

Im März gibt es drei Möglichkeiten: Sie sind schon weg, sie sind gerade da, sie kommen erst noch und man weiß nie genau, was einen erwartet.

 

In diesem Jahr gab es von allem etwas. Die großen winterlichen Rastbestände waren komplett abgezogen und kontrollierte Gebiete zwischenzeitlich gänseleer. Auffälligen Tageszug mit großen Schwärmen überziehender fröhlich gackernder Gänse gab es nicht, so dass große Ansammlungen offenbar noch in Westeuropa, v. a. in Holland ausharren.

 

Bei der gegenwärtigen spätwinterlichen Witterung tun sie auch gut daran. Am Vortag und nachts hatte es mehr Schnee gegeben als im gesamten Winter. Seit Anfang März gab es ständig Nachtfrost und auch am Tage berappelten sich die Temperaturen kaum über den Gefrierpunkt. Märzwinter ist schon mal das Unwort des Jahres. Am Zählwochenende wurde es zwar recht sonnig, aber es blies ein eiskalter Nordwestwind, aber immerhin war es trocken mit guter Sicht.

Blässgansfamilie mit zwei Jungvögeln / copyright: Bernd Schirmeister
Blässgansfamilie mit zwei Jungvögeln / copyright: Bernd Schirmeister

Trotzdem gab es aktuell Bewegung bei den Gänsen und an manchen Stellen sind recht unauffällig wieder größere Verbände eingesickert.

 

Mein Schwerpunktgebiet war das südliche Achterwasser. Los ging es frühmorgens in Loddin entlang der Wiesen am Achterwasser. Nichts-doch halt Stopp! Da war doch was. Haufenweise braun- weiße Haufen, von denen sich zwar die meisten als angeschneite Maulwurfshaufen herausstellten, aber 500 waren auch Gänsehügel, gut getarnt und leicht zu übersehen. Alle ästen intensiv und so waren sie noch unauffälliger.

 

In den Wiesen am Herrendamm bei Stagnieß war dann richtig Trubel. Massen an Gänsen, in der Mehrzahl Weißwangengänse, aber auch reichlich Blässgänse im bunt gemischten Großtrupp. Geschnatter ohne Ende, das sich mit dem noch schüchternen Reviergesang der ersten Feldlerchen mischte. So oft begegnen sich diese beiden Arten auch nicht. Als Zugabe ließen sich noch vier Misteldrosseln schön beobachten.

 

Dann fuhr ein Auto den Herrendamm entlang, nebenbei rennt ein großer schwarzer Hund, Herrchen im Auto, der Hund muss bewegt werden. Die Gänse auch, alles geht in die Luft. Schnell tritt wieder Ruhe ein, bis der erste Seeadler vorbeischaut, erneut reger Flugverkehr, der Krach übertönt die Feldlerchen. Das Grasfrühstück lässt sich heute nicht in Ruhe einnehmen.

So kann es weitergehen. Geht es aber nicht. Bei Pudagla sitzen zwar nochmal 600 Bläss- und Graugänse im Wintergetreide, aber dann ist Schluss. In den großen Wiesenkomplexen der meliorierten Niedermoore zwischen Neppermin und Balm sowie bei Dewichow rasten oft auch Tausende Gänse. Momentan ist die Landschaft dort aber weitgehend gänseleer. Nur die verpaarten Graugänse stehen überall zu zweit herum und warten auf besseres Wetter, um mit dem Brutgeschäft beginnen zu können. Nun noch in den Lieper Winkel. Dort konnten wir bei Liepe zur Mittwinterzählung im Januar gewaltige Gänsescharen registrieren. Nun war auch hier bis auf die üblichen Graugänse gähnende Leere. Wenigstens ein kleiner Kiebitztrupp rastet nahe der Straße.

 

Die anhaltende Kälte hält sie alle ab, bisher gab es kaum merkbaren Vogelzug wie sonst um diese Zeit normal, wenig Kiebitze, kaum Stare, ein paar Feldlerchen und Wacholderdrosseln, noch kein Greifvogelzug. Nur einige Rotmilane haben ihr Revier besetzt, wie sich bei Pudagla, Benz, Balm, Liepe und im Thurbuch an mehreren Stellen beobachten ließ.

Ein Paar Graugänse warten auch auf den Frühling / copyright: Bernd Schirmeister
Ein Paar Graugänse warten auch auf den Frühling / copyright: Bernd Schirmeister

Jetzt noch ins Thurbruch, wo vor zwei Wochen noch ca. 5000 Gänse gerastet haben, die aber bereits ostwärts aufgebrochen sind. Ein größerer Pulk, gestört von einem Tierfotografen, kam mir bei Labömitz gleich entgegengeflogen, beruhigte sich aber schnell wieder. Knapp 700 Bläss- und einige Weißwangengänse, dazu noch über 300 Graugänse. Da sind wohl auch bereits Nichtbrüter dabei, die zwar auch verpaart sein können, aber nicht zur Brut schreiten. Trotzdem ist die Reproduktion so erfolgreich, so dass die Bestände dieser heimischen Art weiter steigen. Auch hier mischen sich Gänsegeschnatter und Feldlerchengesang. Ein Ausblick auf das kommende Frühjahr sind dann gut 200 an einer Nassstelle rastende Kiebitze, ein schöner Anblick zum Abschluss der Zählrunde.

 

Eine hat es nicht geschafft. Bei einer Kontrollfahrt am nächsten Vormittag in die Wiesen am Herrendamm zwischen Pudagla und Stagnieß fielen gleich zwei Seeadler auf, zu denen die Gänsemassen respektvollen Abstand hielten. Und das aus gutem Grund. Um die beiden Seeadler, jeweils ein Alt- und ein Jungvogel, hüpften mehrere Nebelkrähen herum. Ein sicheres Zeichen- die Seeadler haben Beute gemacht. Offenbar handelte es sich um eine Blässgans, wie die zahlreichen umherfliegenden grauen Federn zeigten. Nun kam noch ein dritter Seeadler dazu und einen Moment später ein vierter, ebenfalls Jungvögel. Die Krähen beeindruckte das nicht. Sie zupften dem kröpfenden Adler ständig an den Schwanzfedern, um ihn zu nerven und schließlich ebenfalls ihren Anteil an der Beute zu bekommen. Nun kam es unter den vier Adlern ständig zu Streitereien um die Beute. Der Altadler flog schließlich mit einem ganzen Stück Gans, an dem noch der Flügel hing, ab. Für die anderen blieben nur kümmerliche Reste, so dass sich die ganze Gesellschaft schließlich zerstreute. 

Gesamtergebnis vom 11.03./12.03.2023

Graugans 1367
Blässgans 5831
Weißwangengans 7089
Tundrasaatgans 18

Gezählt wurden dabei die gleichen Gebiete wie auch jedes Mal zur internationalen Mittwinterzählung der Wasservögel im Januar. Nur dass der Schwerpunkt bei den Gänsen nicht auf den Gewässern liegt. Diese benötigen sie zwingend auch als vor Vergrämung, Jagd und Prädatoren sichere Schlafplätze, die jedoch oft erst mit Einbruch der Dunkelheit angeflogen werden und bereits in der Morgendämmerung wieder verlassen werden. Solche Schlafplätze sind z. B. der Kachliner See im Thurbruch oder auch windgeschützte Buchten an Achterwasser und Peenestrom.

 

Von dort verteilen sich die Gänse am Tage auf die umliegenden Nahrungsflächen, an denen sie dann gut erfasst werden können. Das sind im Herbst überwiegend abgeerntete Äcker mit Mais- und Zuckerrübenresten, aber auch Raps und Wintergetreide. Im Frühjahr sind es eher Grünländereien, deren nachwachsendes Gras nun eine besonders energiereiche Kost darstellt, aber auch Wintergetreide wird genutzt.

Wintergetreide ist auch energiereiches Gras / copyright: Bernd Schirmeister
Wintergetreide ist auch energiereiches Gras / copyright: Bernd Schirmeister

Die Gänse verteilen sich erfahrungsgemäß nicht gleichmäßig in der Landschaft. Große Bereiche der einzelnen Zählgebiete können fast völlig gänseleer sein, während man dann plötzlich auf große Ansammlungen verschiedener Arten stößt. Manchmal kommt ein Zähler auch nicht ganz so beseelt nach Hause, weil es auf seinem Abschnitt wenig an Gänsen zu greifen gab, während andere den Ansturm kaum bewältigen konnten. Solche Bereiche waren in diesem Jahr die Wiesen bei Stagnieß, das Thurbruch und die Ackerfluren um Mahlzow. Aber das weiß man vorher nicht genau.

 

Bei den Graugänsen sind jetzt die brutwilligen Paare auffällig, die sich separieren. Es gibt aber auch noch größere Ansammlungen, die überwiegend aus Nichtbrütern bestehen, die allerdings auch bereits verpaart sein können.

 

Bei den nordischen Arten (Bläss-, Weißwangen- und Saatgans) ist nun der Heimzug in vollem Gange, in diesem Jahr allerdings verzögert durch den Spätwinter. In ihrer arktischen Brutheimat versäumen sie um diese Zeit noch nicht viel, so dass die Gänse überwiegend in Etappen ziehen und dabei kürzere oder auch längere Pausen einlegen. Dabei folgen sie klugerweise dem aufwachsenden Gras in Richtung Nordosten, so dass für sie immer die energiereichste Nahrung zur Verfügung steht. 

schwatzender Starentrupp am Herrendamm / copyright: Bernd Schirmeister
schwatzender Starentrupp am Herrendamm / copyright: Bernd Schirmeister

Diese Trittsteine des Vogelzuges bilden ein sensibles System, das den Gänsen Ruhe und Rast bieten muss, aber auch genügend Nahrung und Zeit zum Fressen, um entsprechende Fettreserven für den Weiterflug aufbauen zu können. Fehlt dabei ein Baustein, erreichen die Gänse in schlechter Kondition ihr Brutgebiet. Die Folgen sind kleinere Gelege, ungenügende Feindabwehr, weniger Junge, also schlechterer Bruterfolg. Passiert das über mehrere Jahre, nimmt schließlich die Population ab. So bringt es auch nichts, wenn Landwirte die Vögel ständig von den Flächen vertreiben, weil sie dann unnötig viel Energie verbrauchen und umso mehr fressen müssen, um das Defizit wieder auszugleichen.

 

Auffällig war bei unseren Zahlen wie schon im Januar das starke Überwiegen der Weißwangengänse, deren Population seit einigen Jahren einen deutlichen Aufwärtstrend aufweist.

 

Andererseits fehlten Saatgänse fast völlig. Dabei kann sich die Hauptmasse auch noch in den westeuropäischen Winterquartieren aufhalten oder südlich von uns durchs Binnenland ziehen, da sich auch viele Rastplätze dort befinden, z. B. in Südbrandenburg und Nordsachsen.

 

Das zeigt auch wieder, dass nur kleinräumige Vergleiche bei Arten, die großräumig ziehen, wenig bringen.

Bericht und Fotos: Bernd Schirmeister