Siedlung:
Wald:
Offenland:
Wie schon die vier vorangegangenen Winter begann auch dieser Winter im Dezember mit einer milden Periode, so dass man denken konnte, alles bleibt wie aus den letzten Jahren gewohnt. Allerdings gab es Mitte Dezember einen kurzen Kälteeinbruch mit meist einstelligen Minustemperaturen und geringem Schneefall, die meisten Binnengewässer froren zu. Dieses winterliche Intermezzo war jedoch nur von kurzer Dauer, bereits zu Weihnachten war es wieder deutlich milder.
Über den gesamten Januar blieb es wieder mild mit einstelligen Tages- und Nachttemperaturen, Regen fiel ungewohnt reichlich, um die Monatswende zum Februar wurde es erneut kälter und Anfang Februar blieben auch die Tagestemperaturen im einstelligen Frostbereich. Unter Hochdruckeinfluss gab es viel Sonne. Aber auch dieser Winterbesuch war nur kurz, in der zweiten Februardekade stiegen die Temperaturen schnell wieder in den positiven Bereich bis knapp 10°C, Niederschläge fielen kaum noch. Die Wetterbedingungen hatten natürlich Auswirkungen auf die Vogelwelt sowohl hinsichtlich des Artenspektrums, ihrer Menge und Verteilung als auch ihrer Aktivität. Bis zum Ende der ersten Februardekade waren alle Gebiete bearbeitet.
Insgesamt wurden 18947 Vögel erfasst (2019: 10919 Vögel, 2020: 16877 Vögel, 2021:10658 Vögel, 2022: 12012 Vögel).
Dabei wurden bei der ersten Zählung 9061 Vögel und bei der zweiten Zählung im Februar 9886 Vögel registriert. Im Vergleich der letzten Jahre ist das ein neuer Höchstwert.
Insgesamt wurden 61 Arten registriert (2018: 68, 2019: 62, 2020: 64, 2021: 69, 2022: 59 Arten), ein relativ niedriger Wert, trotz milder Witterung. Einige typische Akteure des Winters wurden nicht erfasst wie z. B. Habicht oder Raufußbussard. Deren scheinbares Fehlen bedeutet jedoch nicht völlige Abwesenheit, oft sind es ja schnelle und kurze Zufallsbeobachtungen, abhängig von Witterung, Zeitpunkt, Aktionsradius oder Aktivität des Vogels. Wenn z. B. der Habicht eine halbe Stunde vorher gekröpft hat, dann sitzt er gut gedeckt im Erlenbruch und entzieht sich dem Beobachter.
Viele der typischen Wintervogelarten wurden jedoch auch erneut beobachtet, dazu gehören die Meisenarten und Finkenvögel, im Grünland auch Gänse in teils hoher Anzahl. Das Gros der Vögel wurde erneut von wenigen Arten bzw. Artengruppen gebildet, das sind Krähenvögel, Meisen und Finken, daneben Drosselvögel und im Offenland Gänse. Viele Arten kamen oft nur in kleinen Gruppen oder Einzelexemplaren zur Beobachtung, aber gerade diese auch zu entdecken, macht oft den Reiz einer solchen Zählung aus und spornt den Ehrgeiz des Beobachters an, nachdem man die üblichen Verdächtigen über die Jahre recht gut kennengelernt hat.
Die recht große Anzahl von Arten zeigt aber auch die Vielgestaltigkeit der untersuchten Lebensräume sowie deren Habitatqualität. Vor allem im Offenland zeigen sich aber auch große Probleme für die Vögel durch die ausgeräumte Kulturlandschaft, die an vielen Stellen kaum noch Strukturen aufweist, die den Vögeln Schutz, Deckung oder Nahrung bieten können. Manchmal ergeben sich jahrweise Unterschiede z. B. durch gefrorenen Boden, die Verfügbarkeit von Beerennahrung im Offenland, Störungen durch land- oder forstwirtschaftliche Arbeiten, Störungen durch Prädatoren, wenn z. B. jagende Seeadler gerade die Gänsemassen vertrieben haben.
Der Wald erwies sich mit erneut 15 Arten (2021: 13, 2022: 15 Arten) als artenärmster Lebensraum, was aber nicht verwundern darf, bietet er doch im Winter nicht so vielen Vogelarten geeignete Lebensbedingungen. In diesem Jahr gab es allerdings eine Vollmast bei der Buche, was die teils hohen Individuendichten im Wald erklärt. Beerenfrüchte waren teils knapp, manche Arten wie z. B. Amseln oder Rotkehlchen wandern dann in den Siedlungsraum mit besseren Bedingungen (Gärten, Vogelfütterungen, Komposthaufen). Schade für weitere Vergleiche ist es, dass wir nur eine Waldstrecke bearbeiten.
In den Siedlungen bot sich ein differenziertes Bild, es wurden 38 Arten (2021: 39, 2022: 33 Arten) beobachtet. Es gab aber keine Massenvorkommen bestimmter Arten. Auffällig waren die auf Grund des milden Wetters nur wenigen Futterstellen, so dass auch deshalb Konzentrationseffekte ausblieben. In den Buchenparks gab es Bucheckern als wichtige Nahrungsquelle, die aber zum Februar hin auch weitestgehend aufgebraucht waren, so dass z. B. Ringeltauben in größerem Maße abwandern mussten und Finkenschwärme oder größere Meisentrupps völlig fehlten.
Im Offenland wurden 54 Arten (2021: 61, 2022: 52 Arten) gezählt, hier spielt natürlich die Habitatqualität eine entscheidende Rolle. Ob ausgeräumte Agrarlandschaft oder strukturreiches Grünland ist für viele Arten der überlebenswichtige Unterschied. Ist das der Fall, kann man dort natürlich auch Arten beobachten, die sonst eher im Wald oder auch in Siedlungen angetroffen werden können, wie z. B. Meisen, Amseln und selbst Wintergoldhähnchen, manchmal nur in einzelnen Individuen, was den Beobachter dann gelegentlich verwundert.
Zur Darstellung weiterer Zusammenhänge sei hier ausdrücklich auf die ausführliche Auswertung der Wintervogelzählung 2016 verwiesen.
Insgesamt kamen 12 Arten zur Beobachtung (2021: 19, 2022: 13 Arten). Die geringere Artenzahl resultiert aus dem Wegfall der Offenlandstrecke an der Krumminer Wieck, in die auch immer einige Wasservogelarten einflossen.
Wasservögel sind allerdings auch nicht Zielarten des Programms, das es für diese Artengruppen andere Erfassungsprogramme gibt, z. B. im Rahmen der internationalen Mittwinterzählung, des europaweiten Gänsezensus oder des deutschlandweiten Wat- und
Wasservogelzählprogramms. Manchmal halten sich aber auch auf den Wiesengräben oder flächig überschwemmtem Grünland Graureiher, Stockenten und Höckerschwäne und andere Arten auf, die dann natürlich auf Grund des vorhandenen Bezugs zum Lebensraum miterfasst werden. Das kann selbst in Siedlungen der Fall sein, wie z. B. Möwen, die auf Dächern der alten Villen in den Seebädern ruhen (und später dort oft auch brüten) oder Stockenten, die in Parks Bucheckern fressen oder sich sogar an Futterstellen einfinden können.
Die offene Agrarlandschaft wird zudem von Gänsen zur Rast und Nahrungssuche genutzt. V.a. auf der Zählstrecke im Thurbruch zeigten sich auffällige Unterschiede zwischen beiden Zählungen, wobei während der ersten Zählung noch wesentlich mehr Gänse (insgesamt 5560 Ind.) im Thurbruch anwesend waren, bei der zweiten waren es 4040 Ind. Der Rückgang resultiert aus Abwanderungen von Graugänsen, eventuell witterungsbedingt durch den kurzen Kälteeinbruch. Häufigste Art war die Weißwangengans (2230/1700 Ind.) wie auch schon inselweit bei der Mittwinterzählung im Januar.
Andererseits nutzen Gänse die Agrarlandschaft stark umtriebsmäßig, dabei spielen die angebauten Kulturen eine wichtige Rolle. Im Herbst werden v. a. auf abgeernteten Maisschlägen die energiereichen Körner gefressen. Saatgänse nutzen auch gern Wintergetreide. Maisfelder stehen jedoch oft nicht lange zur Verfügung, weil bald wieder landwirtschaftliche Arbeiten auf diesen Flächen erfolgen. Die Gänse wandern dann ab dem Spätherbst nach und nach ins Dauergrünland ein, sie fressen dort die energiereichen Grasspitzen, die bei hohem Fraßdruck durch viele Gänse bald abgeweidet sind. Nun kommt es zu klein- und manchmal auch großräumigeren Verlagerungen der Gänseschwärme auf der Suche nach den ergiebigsten Nahrungsquellen. So kann es passieren, dass ein Wiesenkomplex, der tage- oder sogar wochenlang durch Gänse frequentiert war, plötzlich fast gänseleer ist. Wenn das Gras wieder nachgewachsen ist, tauchen sie auch dort plötzlich wieder in großer Zahl auf.
Bei größerer Kälte oder Schneelagen wandern viele Gänse auch ins wintermildere Westeuropa ab. Anhand der mit farbigen Halsbändern markierten Gänse lassen sich diese Wanderwege und die Aufenthaltsorte der Gänse manchmal gut verfolgen. Noch extremer sind diese Ortsverlagerungen während des Frühjahrszuges in die Brutgebiete, wo sie dem aufwachsenden Gras folgen, so dass immer die energiereichste Nahrungsquelle zur Verfügung steht. Dabei kann es v. a. im Baltikum noch zu längeren Rastaufenthalten kommen, weil sich die Tiere auch Fettreserven für den langen Weiterflug anfressen müssen. Die spätere Ankunft im arktischen Brutgebiet fällt dann schließlich auch dort mit der Schneeschmelze und dem aufsprießenden Gras zusammen.
Beim Kranich - insgesamt 23 Ind. - (2021: 7, 2022: 46) kam es zu durchgängigen Überwinterungen, eine in den letzten Jahren immer häufiger zu beobachtende landesweite Tendenz. Im atlantischer geprägten Westteil des Landes sind es sogar schon Trupps, die hunderte Kraniche umfassen können. Teilweise hatten die Brutpaare ihre angestammten Reviere gar nicht verlassen und konnten sogar noch mit ihren vorjährigen Jungen beobachtet werden. Allerdings war das Bild in diesem Jahr etwas differenzierter. So hatten im Thurbruch nach dem Kälteeinbruch im Dezember alle Brutpaare ihre Reviere verlassen, mit dem Einsetzen milderer Witterung waren sie allerdings auch schnell wieder da. Weit können sie also nicht gewesen sein.
Insgesamt kamen 6 Arten zur Beobachtung (2021: 8, 2022: 7). Die nachfolgenden Zahlen in Klammern mit Schrägstrich geben jeweils die Anzahl bei der ersten bzw. zweiten Zählung registrierten Individuen an.
Häufigste Art war der Mäusebussard mit 15 Ind. (2021: 26, 2022: 12) und unausgeglichener Verteilung bei beiden Zählungen (5/12). Offenbar war es erneut kein besonders mäusereiches Jahr.
Seeadler sind insgesamt 15 beobachtet worden (2021: 16, 2022: 14), teilweise kommt es immer wieder zu Konzentrationen v. a. von Jungadlern, die z. B. Gänse gemeinsam jagen. Ablesungen beringter Adler zeigen einen weiten Einzugsbereich der bei uns überwinternden Adler aus ganz M-V, den angrenzenden Bundesländern und auch aus den Anrainerstaaten der Ostsee. Die jahrweisen Unterschiede sind schwierig zu interpretieren, manchmal sind es kleinräumige Verlagerungen, die aus günstigen Nahrungsquellen resultieren können, weil kopfstarke Gänseansammlungen natürlich Adler anlocken. Durch das milde Wetter sind wohl aber viele Adler östlich verblieben und gar nicht bis zu uns gekommen.
Regelmäßig im Winter in größerer Zahl tritt bei uns noch der Sperber auf, aber nur 3 Ind. (2022: 7 Ind.), der als fast reiner Vogeljäger besonders in Ortschaften unter den zahlreichen Kleinvögeln erfolgreich Beute macht. Aber auch im Offenland trifft man diesen Schleichjäger an.
Jährlich, aber seltener tritt die Kornweihe auf Usedom im Offenland auf. Erst im Peenetal und auch an der Müritz gibt es regelmäßig besetzte Winterschlafplätze, an denen die Art auch in zweitstelliger Individuenzahl auftreten kann. Kornweihen jagen v. a. Kleinsäuger, aber auch Singvögel. Brutvorkommen gibt es in M-V nicht mehr, sie ist nur Durchzügler und Wintergast v. a. aus Skandinavien.
Der Rotmilan, 1 Ind., (2022: 4 Ind.) war früher fast reiner Zugvogel mit Winterquartieren in Spanien und Südfrankreich. Heute gibt es z. B. in Sachsen in jedem Winter bereits kopfstarke Schlafplätze. Hier ist er noch selten im Winter, aber mit zunehmender Tendenz. Bei im Februar beobachteten Vögeln kann es sich zumindest teilweise auch schon um frühe Heimkehrer handeln.
Mit Habicht und Raufußbussard fehlten erneut zwei sonst eigentlich typische Winterarten, zumindest beim Raufußbussard können Nahrungsverfügbarkeit (Mäuse) und milde Witterung eine Rolle gespielt haben. In anderen Regionen des Landes gab es durchaus Sichtungen der Art, während der Habicht ein fast ausschließlicher Vogeljäger ist.
Ein besonderes Erlebnis sind immer Beobachtungen von Wanderfalken. Nach jahrelang nur Durchzugs- und Winterbeobachtungen brütet die Art inzwischen auch wieder in M-V und erfreulicherweise nach 50-jähriger Abwesenheit sogar wieder auf der Insel Usedom. Im Thurbruch rasten sie den ganzen Winter über, entziehen sich aber auch immer wieder der Beobachtung.
Ringeltauben kamen insgesamt 288 (168/120) zur Beobachtung (2021: 269, 2022: 169). Eicheln und Bucheckern in den Wäldern und Parks standen anfangs reichlich zur Verfügung. Bei Verknappung sind offenbar viele Ringeltauben abgewandert.
Türkentauben, die im Vorjahr erstmals fehlten, kamen erneut nur sporadisch zur Beobachtung, das ehemalige Brutvorkommen in Bansin bleibt weiterhin erloschen.
Häufigster Specht war der Buntspecht mit 27 Ind. (13/14), (2021: 33, 2020: 33. Auf der Zählstrecke Bansin hat sich gezeigt, dass die Spechtreviere auch im Winter zuverlässig besetzt sind. Im Februar steigt allerdings die Aktivität mit verstärkter Balz und dem arttypischen Trommeln der Vögel, so dass sie dann wieder besser zu erfassen sind, was sich auch leicht im Zahlenverhältnis 13 zu 14 Buntspechten zeigt. Zudem sind die Zahlen der auf den Zählstrecken erfassten Buntspechte seit Jahren stabil, was ebenfalls für konstante Reviere spricht.
Eine Überraschung war der Nachweis eines balzenden Paares Mittelspechte am Rand eines Erlenbruchs auf der Thurbruchstrecke, die Art wurde dort in den Vorjahren nicht beobachtet. Mit dem Kleinspecht kam sogar noch eine weitere Spechtart dazu, die in den letzten Jahren immer seltener beobachtet wird. Nur der Grünspecht fehlte bei den Zählungen, eine Art mit ansonsten deutlich zunehmender Tendenz.
Krähenvögel wurden in allen untersuchten Lebensräumen angetroffen, was für die hohe ökologische Anpassungsfähigkeit dieser Artengruppe spricht. Erneut wurden sechs verschiedene Arten gesehen. Die Art mit der höchsten Stetigkeit und weitesten Verbreitung ist die Nebelkrähe (1370 Ind., 806/564), die als Nahrungsopportunist viele verschiedene Lebensräume und Nahrungsquellen zu nutzen weiß, vom Spülsaum am Strand, zum Komposthaufen im Ort über Äcker und Wiesen in der Agrarlandschaft, Waldrändern, bis hin zum überfahrenen Wild am Straßenrand.
Saatkrähen kommen auf Usedom nur noch als Wintergäste v. a. aus dem Baltikum und Osteuropa vor, die ehemalige große Kolonie im Wolgaster Stadtgebiet ist erloschen, auch Umsiedlungen auf stadtnahe Inselbereiche blieben nicht erfolgreich. Die nächste beständige Kolonie befindet sich in Anklam.
Dohlen sind bei uns sehr seltene Brutvögel, wichtigste Brutplätze in der Region sind die Reste der Karniner Hubbrücke, wo es eine Kolonie von ca. 15 BP gibt und die Kirche in Lassan mit 10- 12 BP, die im Winter Verstärkung v. a. aus östlichen Regionen erfahren. Im Winter sind sie oft mit Saatkrähen vergesellschaftet und nutzen gemeinsame Nahrungsgebiete in der Agrarlandschaft und Schlafplätze.
Die hohen Zahlen in Bansin resultieren aus dem wieder besetzten Schlafplatz im Ort. Dieser Schlafplatz zeigte über den Winter erneut eine überraschend hohe Dynamik, während im Spätherbst und Frühwinter ganz überwiegend Nebelkrähen auftraten und Saatkrähen und Dohlen fast völlig fehlten. Nur im niedrigen zweistelligen Bereich am Schlafplatz, wohl wegen des milden Wetters, waren sie Anfang Februar plötzlich in großer Zahl da (Bansin: Saatkrähe: 85/1600, Dohle: 22/490)
Die vielen Krähenvögel verteilen sich tagsüber zur Nahrungssuche über einen großen Einzugsbereich auf der Insel (z. B. Thurbruch, Wiesen um Pudagla, Neppermin und Balm), im Ort verbleiben nur wenige. In der Agrarlandschaft können die Bestände von Nebel- und Saatkrähen sowie Dohlen stark schwanken, was am Nahrungsangebot liegen kann. Allerdings erstrecken sich die Nahrungseinzugsgebiete bis in den Usedomer Winkel, wie aus Sichtbeobachtungen des morgendlichen Abfluges deutlich wurde, so dass viel Auswahl für die Vögel besteht. Es gibt allerdings auf der Insel noch weitere Schlafplätze von Krähenvögeln, so in Kölpinsee und Mölschow sowie im polnischen Swinemünde. Ob und in welchem Ausmaß zwischen diesen Plätzen Austauschbewegungen stattfinden, ist unbekannt.
Zu dieser Vogelgruppe gehören auch die vorstehend gesondert besprochenen Krähenvögel. Sie sind die artenreichste Gruppe und stellen mit 30 Arten (2021: 30, 2022: 27 Arten) die Hälfte aller registrierten Arten. Manche Arten werden dabei oft nur in Einzelexemplaren registriert und fehlen dann jahrweise, z. B. gab es in diesem Winter wie im Vorjahr keine Seidenschwänze bei uns, dabei hatte man nach ersten Durchzüglern Anfang November und ihrem völligen Abzug aus Nordschweden wegen Nahrungsmangels (Beerenfrüchte) schon mit einem stärkeren Einflug bei uns gerechnet. Aber offenbar sind sie irgendwo in den skandinavischen Weiten verblieben. Erstaunlich ist das erneute völlige Fehlen der Grauammer, eventuell ein Indiz für die doch an viele Stellen struktur- und nahrungsarme Offenlandschaft.
Drosseln, Meisen und Finken bildeten die zahlenmäßig stärksten Gruppen, einige Beispiele sollen das erläutern:
Amseln wurden 192 (72/120) gezählt, (2021: 191, 2022: 133), ein hoher Wert. Die Unterschiede resultieren offenbar aus Einwanderung in die Ortschaften, so Bansin 23 zu 47 und Heringsdorf 20 zu 43 Amseln, weil Nahrungsquellen in den umliegenden Wäldern wohl erschöpft waren. Auf anderen Zählstrecken zeigt sich das nicht so deutlich, so dass die gestiegenen Zahlen durchaus auch den zeitigen Beginn des Frühjahrszuges markieren können.
Auf eher nahrungsbedingte Ursachen deuten auch die Verhältnisse bei der Wacholderdrossel, die im Offenland sogar weitgehend fehlte (Gnitz: 0/0, Thurbruch: 9/13, Peenewiesen: 0/10), aber plötzlich in die Ortschaften einflog (Heringsdorf: 0/30).
Rotkehlchen waren es insgesamt 37 (2020: 49, 2021: 48, 2022: 39). Die ähnliche Zahl spricht für viele Überwinterer, v. a. in den Ortschaften waren Rotkehlchen auf den Zählstrecken regelmäßig anzutreffen. Dabei handelt es sich jedoch in den meisten Fällen nicht um unsere heimische Brutpopulation, die in Südeuropa überwintert, sondern um Zuzug aus nördlichen und östlichen Regionen. Die Rotkehlchen besetzen hier dann ein Winterrevier, dass vehement gegen Artgenossen verteidigt wird. Dass dabei eine gewisse Dynamik besteht zeigen die beiden Zählungen (15/22). Welche Ursachen die (scheinbaren?) Abnahmen über die Jahre haben, muss offen bleiben.
Die Kohlmeise ist neben Amsel und Nebelkrähe die Art mit der höchsten Stetigkeit, kein Zähler kam ohne Kohlmeisen nach Hause. Insgesamt wurden 858 (376, 482) Kohlmeisen registriert (2021: 649, 2022: 535), deutlich mehr als in den Vorjahren, was wohl nahrungsbedingt ist (Vollmast bei der Buche). Das zeigt sich auch auf der einzigen Waldstrecke, wo allein über die Hälfte aller Kohlmeisen (438) gezählt wurde. Die Futterstellen in den Ortschaften waren dazu nicht übermäßig stark von Kohlmeisen frequentiert, auch die recht hohen Zahlen im Offenland (Thurbruch, Gnitz) deutet auf ein gutes Nahrungsangebot hin, so dass die Kohlmeisen in unserer Kulturlandschaft gut zurecht kamen.
Blaumeisen wurden 199 (113/86) gezählt, (2020: 360, 2021: 203, 2022: 113), ein mittlerer Wert und weniger ein Viertel des Kohlmeisenbestandes. Das geringere Auftreten im Wald, die Verteilung auf den Offenlandstrecken und ein auffällig unterschiedliches Auftreten in den Ortschaften (Bansin: 80, Heringsdorf: 9) spricht für ein breiteres Nahrungsspektrum als bei der Kohlmeise.
Zaunkönige kamen insgesamt 33 zur Beobachtung (2019: 28, 2020: 32, 2021: 37, 2022: 32), das sind interessant konstante Winterbestände dieses kleinen Vogels. Dafür spricht auch die gleichmäßige Verteilung (17/16) bei den Zählungen, dabei beherbergt unsere Region sowohl nordische Überwinterer (Netzfänge auf der Greifswalder Oie, Ringfund in Peenemünde) als auch angestammte Reviervögel,.
Haussperlinge wurden 683 erfasst (2020: 600, 2021: 609, 2022: 625). Die Art ist ja ausschließlich auf Ortschaften und deren Randlagen beschränkt, im Laufe der Zeit lernt man die bevorzugten Aufenthaltsorte der Vögel gut kennen. Oft sind das Bereiche mit dichten Hecken, die Schutz bieten und auch zum Schlafen genutzt werden. Die vergleichbaren Zahlen aus den letzten Jahren verblüffen schon ein wenig, dieselben Verdächtigen können es kaum in jedem Jahr sein, denn im Winter leben die Ortssperber fast ausschließlich von Haussperlingen. Katzen- und Verkehrsopfer sowie die natürliche Mortalität tun ein Übriges. Trotzdem scheint die hiesige Sperlingspopulation gut in der Lage zu sein, diese Verluste durch entsprechenden Bruterfolg wieder auszugleichen, so dass die Zahlen sowohl die hiesige Brutpopulation als auch den Bruterfolg abbilden. Dafür spricht auch die ausgeglichene Verteilung bei beiden Zählungen (322/361).
Erschreckend ist der nach wie vor sehr geringe Bestand des Feldsperlings (2021: 30, 2022: 12) mit 33 Ind. (14/19). Eine sehr geringe Zahl, in der offenen Agrarlandschaft trifft man kaum auf Feldsperlinge, kein gutes Indiz für die Qualität der Landschaft. Allenfalls an Viehhaltungen oder Futterstellen sind Feldsperlinge im Winter anzutreffen, auf den Strecken in den beiden Ortschaften wurden überhaupt keine Feldsperlinge mehr angetroffen. Dabei verfügt Heringsdorf mit seinen Altbuchen über geeignete höhlenreiche Habitate. Brutmäßig unterliegen sie offenbar der Konkurrenz mit dem Haussperling, wie eigene Beobachtungen an einer Nistkastenpopulation in Bansin zeigten.
Grünfinken wurden 131 beobachtet, (2020: 322, 2021: 138, 2022: 168), ein niedriger Wert. Die Art tritt konzentrierter in den Ortschaften auf, wo sie an Futterstellen ein häufiger Gast ist, aber auch im Offenland trifft man die Art in geringerer Zahl an, wo sie als Körnerfresser Nahrung findet. Die Zunahme bei der zweiten Zählung (53/78) deutet vielleicht auf beginnenden Durchzug hin. Ob die jahrweise stark schwankenden Zahlen im deutschlandweiten Grünfinkensterben zu suchen sind oder natürliche Populationsschwankungen darstellen, muss wie bei der Blaumeise, offen bleiben.
Erlenzeisige wurden 1409 (717, 692) registriert, (2020: 1048, 2021: 96, 2022: 478), damit war die Art ein Bringer in diesem Jahr und steuerte als Kleinvogel viel zur großen Bilanz bei. Es zeigte sich das typische Bild. Wo die Zählstrecke an Erlenbrüche oder Erlenstreifen angrenzte, gab es auch Erlenzeisige, die geschickt im Geäst herumturnten, um an die in den harten Nüsschen befindlichen Samen der Bäume zu gelangen. Der gute Fruchtbehang in diesem Jahr hatte sich offenbar herumgesprochen, so dass es zu einem regelrechten Einflug kam, ein schönes Beispiel dafür, wie Kommunikation im Tierreich funktionieren kann. Für die konstant gute Nahrungssituation spricht auch die ausgeglichene Verteilung (717/692) bei beiden Zählungen. Dabei sind diese Mengen an Erlenzeisigen ausschließlich Wintergäste v. a. aus den skandinavischen Weiten und Nordosteuropa, denn als Brutvogel ist die Art hier selten mit stark lückiger Verbreitung.
Goldammern wurden insgesamt 92 (44/48) gesehen, (2020: 15, 2021: 24, 2022: 105), eine wieder etwas höhere Zahl, die allerdings aus zwei großen Ansammlungen auf dem Gnitz (40) und im Thurbruch (38) resultieren. Goldammern schließen sich im Winter oft zu Trupps zusammen, um im Offenland in Ruderalvegetation oder an Viehhaltungen Sämereien zu fressen, deshalb ist bei der Interpretation der Daten Vorsicht geboten, denn die Vögel nutzen die Agrarlandschaft oft großräumiger, als wir uns vorstellen können.
Keine, möchte man sagen, wenn man sich die Tabelle mit den beobachteten Arten anschaut. Eigentlich nur die üblichen Verdächtigen, aber auch das ist ja erstmal eine Aussage. Naja, ein bisschen was findet sich doch, wenn man etwas länger sucht, zumal diese Kategorie stark individuell geprägt ist. Die Heringsdorfer Zählgruppe wird sich sicher über ihren Kleinspecht gefreut haben, Kathrin über ihren Sperber oder Schwarzspecht und Ute über die Berghänflinge oder die im Geäst herumturnenden Schwanzmeisen
Kiebitz: 7, (2022: 21), Mitte Januar zur Mittwinterzählung kamen auch schon Kiebitze zur Beobachtung, ein Trupp dieses Zugvogels konnte auf der Zählstrecke im Thurbruch gesehen werden. Die milden Winter verstärken Überwinterungstendenzen bei dieser Art
Rotdrossel: 28, (2022: 7), eigentlich ein Zugvogel aus Skandinavien, der den Winter in großen Schwärmen am Mittelmeer verbringt. Es war aber nur dieser eine Trupp, der am Rand eines Erlenbruchs im Thurbruch laut schwatzend rastete.
Wiesenpieper: 1, (2021: 71, 2022: 3), in milden Wintern verbleiben in weitläufigen Niedermoorwiesen oft einzelne oder sogar beachtliche Trupps Wiesenpieper. Vielleicht war es auch bereits ein früher Durchzügler.
Raubwürger: 1, nur ein Raubwürger auf der Thurbruchstrecke, als Brutvogel bei uns leider verschwunden. Skandinavische Durchzügler, die im Winter v. a. ausgedehnte Wiesenlandschaften besiedeln und dort Mäuse oder Kleinvögel jagen.
Bericht und Auswertung: Bernd Schirmeister