Gänsezählung im November 2022

copyright: Wilhelm Plötz
Blässgans

Das Jahr neigt sich dem Ende zu, die Zählsaison dagegen nicht.

 

Mitte September begann der neue Zyklus des nationalen Gänsezensus mit der Erfassung der rastenden Graugänse. Davon gab es jetzt auch noch reichlich. Aber inzwischen hatte es mehrere größere Einflüge der nordischen Bläss-, Saat- und Weißwangengänse aus ihren arktischen Brutgebieten gegeben.

 

Wie nun schon seit vielen Jahren sind Mitglieder aus der NABU- Regionalgruppe in sechs Schwerpunktgebieten der Gänserast im Einsatz.

 

Diese Gebiete umfassen das inselnahe Festland entlang des Peenestroms von Kröslin bis Hohendorf (H. Jürgens), die Peenepolder Waschow und Klotzow mit der umliegenden Agrarlandschaft (O. Wenzel), der Gnitz auf der Insel Usedom mit der anschließenden Halbinsel Wolgaster Ort sowie die Agrarlandschaft nördlich der B111 um Zecherin-Mölschow (K. Räsch), das südliche Achterwasser von Loddin bis in den Lieper Winkel (B. Schirmeister), das ehemalige Niedermoorgebiet Thurbruch (B. Schirmeister) und der Usedomer Winkel (C. Friedrich, M. Kaster).

copyright: NABU Insel Usedom / Bernd Schirmeister
Graugänse im Grünland

Stichtage der Erfassung sind eigentlich der Sonnabend (12.11.) und Sonntag (13.11.). Wir sind aber alle ehrenamtliche Laienkünstler und jeder Teilnehmer hat mannigfaltige berufliche und private Befindlichkeiten und Verpflichtungen, denen Rechnung getragen werden muss. So zog sich in diesem Jahr die Zählung von Donnerstag bis Sonntag, was aber für die Erfüllung der Aufgabe immer noch synchron genug ist. Lieber so gezählt, als gar nicht gezählt. Auch wenn natürlich immer die Möglichkeit regionaler Verschiebungen besteht, denn die Nutzung der Nahrungsflächen durch Gänse unterliegt vielen Einflüssen. Das können Störungen sein, z. B. durch Wanderer, Besucher oder auch Beutegreifer wie Seeadler. Das können landwirtschaftliche Arbeiten sein, wie z. B. Bodenumbruch oder Neuansaat, die die Flächen für Gänse unattraktiv machen. Auch Witterungseinflüsse spielen eine Rolle, so dass die Vögel oft flexibel reagieren müssen.

Ich hatte einige meiner Gebiete schon in den Vortagen kontrolliert, um mir einen Überblick zum aktuellen Rastbestand und der Verteilung der Gänse zu verschaffen.

 

Los ging die Tour am südlichen Achterwasser bei Loddin. Im ausgedehnten Grünland waren die Gänse gerade beim Frühstück. Es gab Gras, das bei den anhaltend warmen Temperaturen noch üppig grün sprießte. Also schnell das Spektiv aufgebaut- da! eine farbberingte Blässgans mit schwarzem Ring. Es gab fünf Sekunden Zeit zum Ablesen, dann kam der erste Seeadler.- SB9 war die Kombination, Glück gehabt, bevor der ganze Schwarm senkrecht aufstieg. Die Seeadler interessieren sich jetzt natürlich auch für die Gänse, wenn auch aus anderen Gründen.

 

Zwei Bekassinen flogen noch rätschend vorbei und weiter ging es durch die Wiesenlandschaft zwischen Stagnieß und Pudagla, wo vor einigen Tagen noch Hunderte Gänse gerastet hatten. Drei Seeadler in der Luft- die Wiesen waren bis auf einen Kiebitztrupp leer.

Zwischen Neppermin und Balm waren die Zählergebnisse auch bescheiden. Aber immerhin gab es zwei spät durchziehende Rotmilane. Von dieser Art konnte ich später bei Dewichow noch drei Individuen und einen weiteren im Thurbruch beobachten. Offenbar hatte die warme Witterung einige Rotmilane noch zum Bleiben veranlasst. Mäuse gab es wohl genug, wie auch die zahlreichen Mäusebussarde und Silberreiher in den Wiesen belegten- alle auf Mäusejagd. Dort zogen auch noch die letzten Feldlerchen rufend Richtung Südwesten in ihre südeuropäischen Winterquartiere.

 

Bei Dewichow gab es dann auf einem großen Rapsschlag direkt an der Straße Gänse satt, die sich gerade an den zarten Rapsblättern satt fraßen. Fast 1800 Gänse bevölkerten den Acker, überwiegend Grau- und Blässgänse, aber auch knapp 700 der hübsch schwarz- weiß gezeichneten Weißwangengänse. Raps ist für den Beobachter dagegen eher suboptimal, da die Pflanzen schon recht hoch aufgewachsen sind und man oft nur Köpfe und Hälse der Vögel sieht. Aber da- eine Graugans mit blauem Farbring: 2ZS. 

copyright: NABU Insel Usedom/ Bernd Schirmeister
Farbberingte Graugans blau 2 VM

Das war eine echte Überraschung, denn diese Gans konnten wir dort bereits im Vorjahr im Oktober und November beobachten.

 

In diesem Jahr ist sie seit dem 06.11. exakt im gleichen Gebiet. Und das über große Entfernung. Diese Graugans wurde 2020 bei Lumijoki/Oulu an der Bottenwieck in Finnland beringt. Das ist die äußerste Nordostecke der Ostsee. Nördlicher geht es für Graugänse in der Ostsee kaum noch. Vor einigen Tagen wurde bei Voßberg im Inselsüden eine Graugans aus dem gleichen Gebiet abgelesen (blau 2VM).

 

Diese Funde geben eine Ahnung, woher die Graugänse jetzt kommen. Graugänse sind ja ganzjährig auf der Insel anwesend. Im Frühjahr die Brutvögel, im Sommer mausernde Graugänse, v. a. aus Polen und jetzt nordische Graugänse. Das heißt, die Art ist zwar ständig hier zu beobachten, aber es sind beileibe nicht immer dieselben Individuen. Gewinnen lassen sich solche Erkenntnisse nur mit Hilfe von internationalen Farbberingungsprogrammen.

copyright: NABU Insel Usedom / Bernd Schirmeister
Farbberingte Waldsaatgans gelb HXH

Den Schlusspunkt am Achterwasser bildete der Lieper Winkel. Aber hier waren die Gänse wieder geizig, nur wenige Grau-, Bläss- und Weißwangengänse, aber immerhin einen großen Trupp Saatgänse.

 

Diese Art wurde früher in zwei Unterarten aufgespalten, die Tundrasaatgans und die Waldsaatgans. Beide haben inzwischen jedoch sogar Artstatus erhalten. Sie lassen sich feldornithologisch auch gut unterscheiden. Beide nutzen in ihrer sibirischen Heimat unterschiedliche Brutbiotope und bei uns teilweise unterschiedliche Nahrungsbiotope. Die kleinere Tundrasaatgans ist im Herbst eher auf Maisstoppel- und Wintergetreideflächen anzutreffen, im Winter auch im Grünland, während die größere und kräftigere Waldsaatgans abgeerntete Zuckerrübenfelder bevorzugt, wo sie Ernterückstände mit ihrem kräftigen Schnabel zerkleinert und frisst.

 

Die Waldsaatgans hat ihren Rastschwerpunkt auch bei uns im Nordosten, in M-V und Brandenburg, während Tundrasaatgänse viel weiter in den Süden bis Sachsen und nach Westen bis in die Niederlande ziehen. Die Waldsaatgans ist durch Lebensraumverlust und übermäßige Bejagung auf den Zugwegen stark gefährdet.

Als Bonus gab es bei Grüssow noch einen diesjährigen Wanderfalken, der nahe der Straße auf einem Acker ruhte, vielleicht nach (erfolgloser) Jagd auf Stare.

copyright: NABU/Roland Weiß
Tundrasaatgans

Der Tag war fortgeschritten, also noch ins Thurbruch, mit 25 Quadratkilometern unser größtes Niedermoor. Am Anfang der Woche konnte ich dort noch überhaupt gar keine Gänse feststellen. Solange es geht, nutzen die Vögel im Herbst Agrarflächen wie Maisstoppeln und Zuckerrübenfelder, weil sie leicht erlangbare und energiereiche Nahrung bereithalten. Es ist allerdings ein Gänseparadies auf Zeit, weil schon bald erneut landwirtschaftliche Arbeiten einsetzen, die die Flächen für die Gänse entwerten, so dass die Tiere nun verstärkt in Grünländer einwandern. Bei Ulrichshorst saßen dann auch gut 1000 Gänse auf einer Wiese, überwiegend Blässgänse. Es lohnt sich aber immer, die großen Trupps genauer durchzumustern und so konnten auch noch 21 Weißwangengänse entdeckt werden. Voraussetzung für die Nutzung eines Gebietes durch die Gänse ist auch das Vorhandensein eines geeigneten, störungsfreien Schlafgewässers. Im Thurbruch bietet das der Kachliner See.

Bericht: Bernd Schirmeister

Ergebnisse der Gänsezählung

Zählgebiet  Graugans Blässgans Waldsaatgans Tundrasaatgans Weißwangengans Summe
 371003 Stettiner Haff   1300 600   50 1950
371004 Gothensee 140 860     21 1021
371005 Schmollensee           0
371006 Achterwasser Süd 894 1385 194   718 3191
371007 Achterwasser Nord 60 300     2026 2386
371008 Peenestrom Mitte 100 248   620   968
372009 Peenestrom Süd 1530 2220 1400 85 830 6065
371010 Peenestrom Nord 85         85
371066 Peenemünder Haken           0
372040 Polder Waschow           0
372041 Polder Klotzow 98         98
Summe 2907 6313 2194 705 3645 15764