Die zweite Exkursion dieses Frühjahrs führte uns nach dem Karlsburger-Oldenburger-Holz ebenfalls in die Nähe von Greifswald, in die Karrendorfer Wiesen. Die Vorfreude war sehr groß, waren doch viele von unseren Mitstreitern noch nie in diesem Gebiet unterwegs. Die Succow-Stiftung hatte uns vorneweg bereits mit Infomaterial versorgt, sodass der Spannungsbogen auf dass, was wir zu sehen und zu hören bekommen, hoch war.
Und so trafen wir gegen 09.00 Uhr nach und nach auf dem Parkplatz am Rand des NSG ein. Insgesamt 12 Personen nahmen teil und freuten sich auf einen kurzweiligen Tag, was sich auch bestätigen sollte.
Das Wetter war noch sehr verhalten vorfrühlingshaft, bedeckt, mit kräftigem Nordostwind. Und der Ostwind kann ja bekanntlich wehen, woher er will, der ist immer kalt. So optimierten einige noch schnell ihre Kleiderordnung. Vergessene Mützen können unter solchen Bedingungen den Spaßfaktor schnell dezimieren, ebenso vergessene Handschuhe.
Inzwischen war auch Gerrit eingetroffen, der uns heute durch das Gebiet führen sollte. Es ging gleich los mit einer Infotafel am Parkplatz und einer Rätselrunde, bei der erstmal grundlegende Begriffe der Moorkunde mittels einer Quizrunde erklärt wurden. Denn schließlich bewegten wir uns in einem Küstenüberflutungsmoor. Die erste Quizfrage konnten die meisten von uns noch problemlos bewältigen, bei den weiteren Fragen kamen wir zum Teil aber doch etwas ins Schwimmen. Am Ende der Quizrunde fühlten wir uns dank der Erklärungen von Gerrit aber gut gewappnet für den restlichen Tag.
Gerrit studiert in Greifswald Landschaftsökologie und ist Mitglied der Michael Succow Stiftung. Diese Stiftung betreut und managt die Karrendorfer Wiesen. Außerdem wohnt er im Rahmen dieser Aufgaben zusammen mit weiteren Studenten auf der benachbarten Insel Koos, die für die Öffentlichkeit nicht zugänglich ist. Ein privilegierter und äußerst ruhiger Wohnort mitten in der Natur, der jedoch Organisationstalent erfordert. Alles zum Leben Notwendige muss aus Greifswald herangeschafft werden, einschließlich des Trinkwassers, denn auf der Insel gibt es nur Brauchwasserversorgung.
Die Karrendorfer Wiesen sind das erste bewusst wiedervernässte Moor in M-V. Seine Entwicklung wurde von Beginn an wissenschaftlich umfassend begleitet, auch um Daten für weitere solcher Projekte zu gewinnen.
Eine Initialzündung für den Start vieler Wiedervernässungsprojekte in ehemaligen Mooren gab das Extremhochwasser vom 04./05.11.1995, als die Natur sich selbst die devastierten Flächen zurückholte. Die vielfach inzwischen unter dem Meeresspiegel liegenden, bis dahin intensiv landwirtschaftlich ausgebeuteten Moorflächen, liefen voll Wasser, so dass man sie schließlich nach langen Diskussionen der Natur zurückgab. Eine Erfolgsgeschichte des Naturschutzes, die man sich beispielsweise im Peenetal anschauen kann.
In den Karrendorfer Wiesen dagegen startete bereits 1993/94 ein Naturschutzgroßprojekt. Das ehemalige Küstenüberflutungsmoor am Rand des Greifswalder Boddens war ebenfalls, besonders zu DDR- Zeiten, einer intensiven landwirtschaftlichen Nutzung unterworfen, mit vielen negativen Auswirkungen für die Natur. Durch den Umbruch von Grünland wird die Zerstörung des darunter liegenden Torfkörpers enorm beschleunigt. Das Moor sackt immer weiter in sich zusammen, der Torf mineralisiert, so dass die Böden schnell ausgelaugt werden und ihre Struktur und Fruchtbarkeit verlieren, was immer höheren Einsatz an Technik und chemischen Mitteln erfordert. Die moortypischen Tier- und Pflanzenarten verlieren ihre Existenzgrundlage und verschwinden. Zudem werden große Mengen klimaschädlicher Gase wie Kohlendioxid freigesetzt, die im Torf gespeichert waren. Moorschutz ist also angewandter Klimaschutz.
Nun wurden die Deiche wieder zurück gebaut, Flutrinnen (Priele) wieder hergestellt und damit ehemaliger Lebensraum renaturiert. Ganz wichtig für den Erhalt des Salzgraslandes ist Beweidung. Uns so pflegen Rinder die Wiesen, halten die Grasdecke kurz, die vor allem aus Salzbinsen besteht. Schilf und andere hoch wachsende Pflanzen haben so keine Chance, die Flächen zu überwuchern. Nun stellen sich innerhalb recht kurzer Zeit auch wieder die typischen Tierarten ein, v. a. Watvögel wie Sandregenpfeifer, Bekassinen, Kiebitze oder Rotschenkel, aber auch Feldlerchen und Wiesenpieper, die dort brüten. Große Bedeutung haben die Salzwiesen auch für die Rast und den Durchzug vieler Vogelarten, darunter weitere Limicolenarten wie Grünschenkel oder Alpenstrandläufer dazu Möwen, Seeschwalben, Gänse und Kraniche. Zum Teil nutzen die Vögel den Nahrungsreichtum der Flächen, andere ruhen und schlafen in den weitläufigen ungestörten Wiesen und Flachwasserbereichen.
Auf weitere Informationen zur Geschichte und Entwicklung der Karrendorfer Wiesen sei auf den beigefügten Flyer der Michael Succow Stiftung verwiesen.
Die erste Station unsere Wanderung führte uns zu einem Vorfluter mit angeschlossenem Pumphaus. Vor dem neu errichteten Deich in Richtung Karrendorf befinden sich noch Wiesen, die bis heute landwirtschaftlich intensiver genutzt und deshalb entwässert werden. Auch der Hochwasserschutz für die umliegenden Gemeinden spielt eine Rolle. Eine auffliegende und laut rätschende Bekassine machte neugierig auf mehr.
Danach ging es weiter zu einem Beobachtungsturm. Auch hier erwartete uns der kalte Ostwind, einige von uns suchten daher den Schutz der Wände. Wer sich dem Wind stellte, konnte sich einen guten Überblick über die Umgebung verschaffen. Die Blicke gingen zum Kooser See und der Halbinsel Streng, ebenfalls NSG, weiter über den Greifswalder Bodden und die Festlandsküste bis hin zum NSG Insel Koos. In die andere Richtung sah man von fern die Küsten der Insel Rügen mit der Steilküste der Halbinsel Zudar, die Insel Riems mit dem Friedrich- Löffler- Institut und den Ort Gristow mit seiner markanten Dorfkirche. Anhand farbiger Zeichnungen auf dem Turm erhielten wir einen Überblick über die Vogelwelt der Karrendorfer Wiesen im Wandel der Jahreszeiten.
Den Frühjahrsaspekt konnten wir gleich einmal selbst erleben. Im Salzgrasland waren Brandgänse sehr schön zu beobachten. Auf dem Kooser See rasteten verschiedene Gründelenten sowie Reiherenten. Größere Trupps nordischer Bergenten flogen gerade hinaus auf den Bodden zum Muscheln fischen.
Dann der erste Höhepunkt, bei dem vor allem auch Fans des Buches "Unter Leuten" von Juli Zeh auf ihre Kosten kamen. An einem Priel konnten wir aus nächster Nähe einen Kampfläufer, im oben genannten Roman die heimliche Hauptfigur, beobachten, ein wunderschönes helles Männchen. Da wussten wir noch nicht, dass Kampfläufer später unsere ständigen Begleiter sein würden.
Ein von Jana entdeckter gelber Farbtupfer stellte sich als Schafstelze heraus. Gleich daneben ein Steinschmätzer, eher eine Zufallsbeobachtung, die für großes Entzücken sorgte. Beide Arten sind erst seit kurzem aus dem Winterurlaub aus Afrika zurück. Während die Schafstelze hier auch brütet, wird der Steinschmätzer noch weiter nach Skandinavien ziehen.
Auch akustisch kamen wir auf unsere Kosten. Überall sangen Feldlerchen und Wiesenpieper in der inzwischen sonnigen Frühlingsluft. Kiebitze balzten und für viele ein neuer Vogellaut war das Düdeln mehrerer Rotschenkelpaare.
So richtig vorwärts kamen wir auf dem beiderseits von weitläufigen Wiesen gesäumten Spurplattenweg nicht. Überall gab es etwas zu sehen und zu hören. Vor allem mit Watvögeln machten einige Teilnehmer hier das erste Mal Bekanntschaft. Und so dauerte es, bis Dunkler Wasserläufer, Grünschenkel oder Sandregenpfeifer bestimmt und erklärt waren. Zwischendurch gab es von Gerrit immer wieder interessante Informationen zum Gebiet, aber auch zu Problemen mit dem Management des über 1400 ha großen NSG. Dazu gehört, die Ausbreitung des Schilfs zu stoppen. Die Flächen überwuchern, das Salzgrasland geht verloren und der dichte Bewuchs bietet Beutegreifern wie Fuchs oder Wildschweinen gute Deckung. Dem haben die Bodenbrüter nichts entgegenzusetzen. Deshalb gehört die Bejagung von Raubsäugern unbedingt dazu, wenn bei den Küstenvögeln Reproduktion zur Erhaltung der Bestände stattfinden soll. Man muss sich entscheiden, ob man junge Füchse oder junge Rotschenkel haben will. Beides zusammen geht nicht.
Auch die Anzahl der Rinder muss dem Schutzziel angepasst sein. Sind es zu viele, nimmt die Grasdecke durch Viehtritt Schaden. Bei zu geringer Weideintensität breiten sich unerwünschte Sukzessionen aus.
Schönheit ist immer relativ im Auge des Betrachters. Aber bei den schicken Kampfläufern waren sich alle einig. Vor allem die in ihren Prachtkleidern so unterschiedlich gefärbten Männchen begeisterten. Aber das wird später im Brutgebiet in der Kampfarena beim Ringen um die Gunst der Weibchen auch gebraucht.
Auch Greifvögel zeigten sich in artenreicher Vielfalt. Ein jagender Rotmilan wurde kollektiv von den zahlreichen Kiebitzen aus ihren Revieren vertrieben. Ein flach überstreichender Sperber war eher eine flüchtige Begegnung, sorgte aber für Aufregung bei den Kampfläufern. Fast schon spektakulär waren zwei sich streitende Seeadler, ein Alt- und ein Jungvogel. Plötzlich fiel die Ursache der Auseinandersetzung, ein mittelgroßes Beutestück, zu Boden.
Dort setzte sich schließlich der Altadler gegenüber seinem jüngeren Konkurrenten durch und fing an zu kröpfen.
Löffelenten, Spießenten, Pfeifenten, Krickenten- meine Güte, welche Vielfalt an Arten, Aussehen, Farben und Rufen. Da konnte man beim Sortieren und Einprägen schon mal durcheinander kommen. Aber mit dem Bericht gibt es die Artenliste gratis dazu und dann kann jeder weiterführend Interessierte zu Hause autodidaktisch tätig werden.
Besondere Hingucker waren immer wieder die farbenprächtigen Brandgänse, die mit mehreren Paaren im Gebiet brüten. Sie sind Höhlenbrüter, nehmen auch Kunsthöhlen gut an und führen ihre Jungen später aufs Wasser.
Schließlich war der Endpunkt der Exkursion erreicht. Wir standen auf der Brücke der Beek, die die Karrendorfer Wiesen von der Insel Koos trennt. Kurze Pause, Sonne genießen, Rauch- und Uferschwalben begucken, Fitissen lauschen und auch Gerrit nochmal zuhören, bevor wir uns herzlich von ihm verabschiedeten und den Rückweg antraten.
Die Freude auf das Picknick war jetzt der Taktgeber, aber zwischendurch war auch Zeit, sich nochmal den Gesang des Blaukehlchens anzuhören.
Am Parkplatz angekommen, wurde Heißes und Kaltes ausgepackt und verzehrt, begleitet vom unentwegten Gesang des Zilpzalps. Besonders das selbstgebackene Brot von Grit und ihr Knoblauch- Gurkenquark fanden reißenden Absatz. Auch die Sonne ließ sich nun blicken und wärmte durchgefrorene Ohren und Hände.
Gegen 14.00 Uhr traten wir schließlich den Heimweg an. Wie bereits bei der letzten Exkursion konnten wir wieder viel Neues mitnehmen. Allein das Beobachten und Bestimmen der vielen Arten in einer
so traumhaften Umgebung vermittelt einem bereits das Gefühl eines Kurzurlaubs, der am besten nie enden soll. Somit sind wir bereits jetzt voller Vorfreude auf die nächsten Exkursionen, die mit
Sicherheit wieder viel Spannendes enthalten werden.
Großer Dank geht auch wieder an Kathrin, die im Vorfeld alles organisiert hat. Und an Gerrit und das Team der Succow-Stiftung, die dieses Kleinod betreuen und sich für uns die Zeit genommen
haben.
Bericht und Fotos (wenn nicht anders bezeichnet): Bernd Schirmeister