Wasservögel auf der Flucht - von Alpenstrandläufer bis Zwergsäger war alles dabei. Doch der Reihe nach.
Wie jedes Jahr fand auch 2021 Mitte Januar die internationale Mittwinterzählung der Wasservögel statt. In diesem Jahr war es das Wochenende vom 16.01./17.01.2021. Diese Zählung gibt es bereits seit Ende der 60er Jahre und wurde seitdem systematisch ausgebaut. Inzwischen werden nicht nur in den europäischen Ländern die Bestände der Wasservögel erfasst, sondern auch in Asien, Amerika und Nordafrika. Mitte Januar ist deshalb günstig, weil zu dieser Zeit die Wasservögel in ihren Winterquartieren anzutreffen sind, während sie im Frühjahr oder Sommer in ihren oft arktischen und unzugänglichen Brutgebieten nur schwer erfassbar wären. Großräumige Wanderungen finden um diese Zeit eher nicht mehr statt. Das war in diesem Jahr jedoch ein klein wenig anders.
In den Winterquartieren lassen sich nicht nur die Bestände zuverlässiger erfassen. Bei manchen Arten wie Gänsen oder Schwänen kann man die Jungvögel optisch noch gut von den Elterntieren unterscheiden, so dass Aussagen zum Bruterfolg und zur Altersstruktur einer Population möglich sind. Durch die jahrzehntelange hohe Konstanz der Zählung lassen sich bedeutende Rastgebiete und Nahrungsgebiete sowie deren Schutzwürdigkeit definieren, bis hin zum Meeresnaturschutz. Damit in Zusammenhang stehen Beobachtungen zu Störungen und Verfolgung z. B. durch Jagd, Fischerei, Schiffsverkehr, industrielle Nutzung (offshore- Windparks) und zunehmende Freizeitnutzung von Gewässern auch im Winter durch sportliche Aktivitäten wie Kitesurfen.
In diesem Jahr war die Vorbereitung und Organisation der Zählung etwas schwieriger. Die gewohnten Arbeitstreffen entfielen coronabedingt, so dass alles mit der Fernbedienung funktionieren musste. Viele Zähler bearbeiten ihr Gebiet ja teilweise schon jahrzehntelang, kennen die Verhältnisse vor Ort bestens und waren, da es glücklicherweise keine größeren Ausfälle gab, wieder zuverlässig im Einsatz. Allerdings konnten zwei wichtige Strecken nicht besetzt werden, da mein Bruder auf Grund der Pandemiebestimmungen nicht aus Berlin anreisen konnte. So waren Umbesetzungen notwendig, was dazu führte, dass auch bereits an den Tagen vor dem Wochenende einzelne Gebiete oder Teilstrecken bearbeitet wurden
Dadurch war der Ablauf die Zählung nun nicht mehr ganz so synchron, was aber hundertmal besser ist, als wenn gar nicht gezählt würde. Diese Empfehlung gibt es auch bereits seit Jahren an die Zähler, die zeitlich flexibler sind. Das kann v. a. bei Wetterlagen wichtig sein, die eher ungünstig für die Zählung und ihr Ergebnis sind. Was nutzt es, wenn man termintreu zählt, aber Sturm das Wasser aufwühlt oder Nebel die Sicht erschwert?
Zudem hatte sich Petrus entschlossen, kurz vor der Zählung arktische Kaltluft zu schicken. Nun drohten zumindest die Binnengewässer zuzufrieren und Männer, die auf Eisflächen starren, sind dann auch keine motivierten Zähler.
In Absprache mit den Zählern im nördlichen Peenetal wurde innerhalb der Woche gezählt, so dass alle Polder noch eisfrei waren. Auch den Schmollensee mit den beiden Krebsseen konnte ich bei bestem Sonnenschein und noch angenehmen Temperaturen umrunden. Nur zur Erfassung des Kormoranschlafplatzes bedurfte es nochmal eines gesonderten Ganges.
Pünktlich zum Wochenende war dann die Kälte da. Auch ein wenig Schnee hatte es gegeben. Glücklicherweise waren am Sonnabend die meisten Gewässer bis auf Kachliner See und Gothensee noch eisfrei. Allenfalls einige Buchten waren leicht überfroren. Nur die flachen Peenepolder waren inzwischen komplett vereist.
Das versprach, auf der Ostseestrecke spannend zu werden. Sollte es mal wieder möglich sein, eine Winterflucht zu erleben? Also zeitig raus am Sonnabend und auf nach Kölpinsee. An der Steilküste ließ sich schnell ein etwas windgeschützter Platz mit gutem Blick aufs Wasser finden. Und tatsächlich, schon ein erster Schwenk mit dem Spektiv zeigte Trupp auf Trupp von Ost nach West durchziehende Wasservögel. Die Sicht war bestens, durch den Nordwestwind flogen die Trupps zumeist dicht an der Küste entlang. Bestimmen, zählen, schätzen, notieren, stundenlang - Langeweile kam nicht auf.
Das Artenspektrum war vielfältig. Vor allem Stockenten zogen immer wieder in größeren Pulks am Betrachter vorbei, zum Teil vergesellschaftet mit Pfeif-, Schnatter- und Krickenten. Dazu Säger, insbesondere Zwergsäger zogen ebenfalls küstenparallel nach Nordwesten. Offenbar hatten auch noch viele Singschwäne im Baltikum ausgeharrt.
Immer wieder ließen sich ihre trompetenden Rufe beim Überflug vernehmen. Selbst Limicolen wie Kiebitze, Brachvögel und Alpenstrandläufer waren unterwegs. Auffällig waren auch immer wieder Gruppen von Eisenten und Trauerenten, also Meeresenten, die ebenfalls nach Westen zogen, obwohl sie hier eigentlich ihr Winterquartier haben. Das gilt auch für die Samtente, die in überraschend hohen Zahlen durchzog.
Da es mir an Bewegung fehlte, kroch die Kälte langsam in Füße und Finger. Also Standortwechsel, über Stubbenfelde und Ückeritz ging es nach Bansin. Überall das gleiche Bild. Am frühen Nachmittag ließen Zugaktivität und Elan des Beobachters spürbar nach.
Der momentane Kälteeinbruch ist ja nur ein kurzes Winterintermezzo. Für nächste Woche sind bereits wieder deutlich steigende Temperaturen angesagt. Trotzdem war es hunderten und aberhunderten Wasservögel sicherer, unsere Region erst einmal zu verlassen.
Auch im Inselnorden wurde gezählt.
Am Sonntag (17.01.2021) waren Joachim Herrmann und ich im Bereich zwischen dem Schießplatz Peenemünde und der Seebrücke Zinnowitz bei der Wintervogelzählung. In Heringsdorf hatte uns der Himmel bei der Abfahrt viel Sonnenschein versprochen, aber im Norden der Insel war die Sonne dann leider mit Wolken verhangen. Dennoch hatten wir einen interessanten Tag bei leichtem Frost und nur wenig Wind.
Vom Schießplatz Peenemünde aus haben wir viele Silbermöwen und Stockenten, aber auch Trauerenten, Schwäne, einen großen Brachvogel und Sterntaucher beobachten können.
In der Ferne, am Rande des Sichtfeldes Richtung Peenemünder Haken, habe ich zwischen den verschneiten Eisrücken einen grauen bepelzten Rücken umherlaufen sehen – ich dachte schon, es wäre mein erster Wolf (!!!) – aber als dann die ganze Gestalt erkennbar wurde erwies es sich doch „nur“ als ein Fuchs, der wohl auf der Suche nach einer Mahlzeit den Strand absuchte.
Später beobachteten wir, wie sich dieser Fuchs einem Seeadler näherte, der zunächst in stoischer Ruhe sitzen blieben. Als ich schon annahm, mich getäuscht und einen dicken Pfosten für einen Adler gehalten zu haben, breitete dieser seine Schwingen aus und flog ein paar Meter weiter. Möglicherweise hatte der Adler etwas Fressbares gefunden und wollte dies dem Fuchs nicht so einfach überlassen? Es wäre möglich, zumal in der Nähe noch vier weitere Adler saßen, die diese Szene interessiert beobachteten.
Um die Seebrücke in Zinnowitz herum konnten wir, wie schon in den Vorjahren, eine große Anzahl von Eisenten beobachten, die dort tauchend nach Nahrung suchten. Als wir uns zur Heimfahrt rüsteten, begaben sich auch die Enten zur Ruhe und steckten ihren Schnabel unter den Flügel um eine Siesta zu halten.