Gänse zählen auf Usedom

ein Beitrag zum nationalen Gänsemonitoring in Deutschland

Grau- und Blässgänse bei Pudagla / Foto: NABU Insel Usedom, Bernd Schirmeister
Grau- und Blässgänse bei Pudagla / Foto: NABU Insel Usedom, Bernd Schirmeister

Bei diesem Wetter morgens raus in die Landschaft, in die Natur? Naja, dunkel war es nicht mehr, aber richtig hell wurde es auch nicht. Nachts hatte es ein bisschen genieselt und die Farbe Grau überwog doch sehr und es war dunstig. Dafür wehte fast kaum Wind und mild war es auch, bis auf 10°C stieg die Temperatur im Laufe des Tages. Und die Landschaft  sollte voller Leben sein, also raus!

Außerdem galt es Aufgaben wahrzunehmen. Neben der normalen Wasservogelzählung lag der zweite nationale Zähltermin für Gänse an. Davon gibt es vier im Winterhalbjahr, immer zur Monatsmitte im September, November, Januar und März. Während im September der Schwerpunkt auf den Graugänsen liegt, sind es jetzt die nordischen Gänsearten, die ihre arktische Brutheimat verlassen haben, um in Deutschland bzw. Mittel- und Westeuropa zu überwintern. Hier lassen sie sich auch wesentlich besser zählen, als in den end-und weglosen Weiten von Tundra und Taiga.

Seit vielen Jahren nehmen einige Mitglieder unserer NABU- Regionalgruppe an diesem Projekt teil und zählen in Schwerpunktgebieten der Gänserast auf und um die Insel die Rastbestände. Neben der Erfassung der Arten und Zahlen geht es auch um rastökologische Gesichtspunkte wie die zum Äsen genutzten Kulturen oder Schlafgewässer. Die Daten werden an Landeskoordinatoren weitergemeldet. Zur eindeutigen Zuordnung der erhobenen Daten trägt jedes Gebiet eine Sitecodenummer, die auch bei der internationalen Wasservogelzählung Verwendung findet.

Lieper Winkel / Foto: NABU Insel Usedom, Bernd Schirmeister
Lieper Winkel / Foto: NABU Insel Usedom, Bernd Schirmeister

Meine Zähltour begann am Schmollensee (sitecode 371005) in den Wiesen. Die eingangs aufgestellte Behauptung bestätigte sich erfreulicherweise an jedem Zählpunkt. Mehrere Seeadler waren gerade wach geworden und kamen niedrig über die Straße vom Heuberg in Richtung See geflogen. Auf Kormorane als Beute mussten sie verzichten, denn die waren gerade ebenfalls wach geworden und vom Schlafplatz am See in großen Pulks auf die Ostsee zum Fischen geflogen. Auch Gänse waren Fehlanzeige.

Also weiter in die Wiesen zwischen Kölpinsee und Stubbenfelde. Hier wimmelte es von Nebelkrähen und Saatkrähen. Letztere sind Wintergäste aus Osteuropa, die in der hiesigen Agrarlandschaft genug Nahrung finden und in den Bäumen am Kölpinsee einen sicheren Schlafplatz. Ein Schwarm von 190 Ringeltauben bevölkerte ebenfalls das weitläufige Grünland. An einer Feuchtstelle nahe des Achterwassers hielten sich sogar noch acht Kiebitze auf. 

Weiter ging die Fahrt entlang des südlichen Achterwassers (sitecode 371006) auf dem Herrendamms nach Pudagla, Neppermin und Balm. Im September und Oktober sind die Gänse vorrangig auf Äckern anzutreffen, speziell auf Maisstoppelfeldern. Diese energiereiche Nahrung steht ihnen jedoch auf Grund der schnellen Bearbeitungsfolge in der modernen Landwirtschaft zeitlich nur begrenzt zur Verfügung, so dass sie nun wieder verstärkt Grünland nutzen, manchmal auch Wintergetreide oder Raps. 

erwachsener Seeadler bei Reestow im Lieber Winkel /Foto: NABU Insel Usedom, Bernd Schrmeister
erwachsener Seeadler bei Reestow im Lieber Winkel /Foto: NABU Insel Usedom, Bernd Schrmeister

In den Schilfflächen bei Neppermin ließen sich an mehreren Stellen Bartmeisen hören, die sich jetzt von den Samen des Schilfs ernähren. Auf den großen Wiesenflächen liefen ganze Pulks von Sturm- und Lachmöwen auf der Suche nach Regenwürmern umher, was sich später ebenfalls bei Dewichow und im Thurbuch beobachten ließ. In den Wiesen bei Dewichow waren zudem drei Silberreiher bei der Mäusejagd. Einmal ließ sich sogar ein erfolgreicher Beutestoß beobachten. Die dicke Wühlmaus zappelte jedoch nur kurz im Schnabel des Reihers, bevor sie im Ganzen verschluckt wurde. Limicolen gab es auch noch, 21 Kiebitze und erstaunlicherweise auch noch acht große Brachvögel. An einem Graben flog rufend ein Eisvogel ab. Nicht weit entfernt ließ ein Kranichpaar seine trompetenden Rufe hören, ein zweites antwortete. Offenbar versuchen auf Grund der bisher milden Witterung wieder mehrere ansässige Revierpaare eine Überwinterung. Auch Greifvögel bevölkerten die Landschaft, drei Mäusebussarde gingen der Mäusejagd nach und vier Seeadler warteten in umliegenden Bäumen auf ihre Chance, erfolgreich Beute zu machen. Nach dem Massendurchzug Tausender Stare Anfang November waren diese nun deutlich seltener. Nur ein Trupp von 35 Vögeln hielt sich in den Wiesen auf.

Jetzt ging es in den Lieper Winkel. Auch hier ein rufendes Kranichpaar, Kiebitze (29). In einer Weißdornhecke ließen sich ca. 20 Wacholderdrosseln und einige Amseln die roten Früchte schmecken. In den Hecken und auf einem nahen Acker hielten sich u.a. auch 55 Feldsperlinge, 20 Stieglitze und 45 Goldammern auf. Alle waren ziemlich unruhig und flogen immer wieder auf, was kein Wunder war, denn ein Sperbermännchen jagte herum. Ein recht später Rotmilan zog noch nach Westen und aus einem Erlengehölz flogen gleich sechs Seeadler ab. Auf einem Rapsacker ließen sich Stockenten (30) sowie Pfeifenten (35) die grünen Blätter schmecken. Auffällig waren auch Wiesenpieper, die sich meistens zuerst durch ihre Rufe bemerkbar machten. Immer wieder zogen einzelne oder kleine Trupps nach Westen durch. Ein Raubwürger hatte sein Winterrevier bezogen.

fliegende Weißwangengänse bei Liepe / Foto: NABU Insel Usedom, Bernd Schirmeister
fliegende Weißwangengänse bei Liepe / Foto: NABU Insel Usedom, Bernd Schirmeister

Letzte Station war das Thurbruch (sitecode 371004). Das mehrere Quadratkilometer große ehemalige Niedermoor bietet zu jeder Jahreszeit etwas Interessantes. Und es begann auch gleich richtig spektakulär. Auf einem Koppelpfahl hatte ein Turmfalkenmännchen aufgeblockt, flog aber gleich wieder ab, denn plötzlich waren nicht nur ein, sondern sogar zweite adulte Wanderfalken über ihm. Einer der wesentlich größeren Wanderfalken flog immer wieder energische Angriffe auf den kleineren Verwandten und kam ihm bedrohlich nahe. Vermutlich waren es nur Scheinangriffe, um den Turmfalken aus dem Nahrungsrevier zu vertreiben, aber eine solche Interaktion zwischen den Falken hatte ich noch nie beobachtet. Greifvögel waren im Thurbruch überhaupt gut vertreten, ein Sperberweibchen jagte, ebenso ein weiterer Turmfalke. 16 Mäusebussarde saßen meist auf erhöhtem Posten auf den Koppelpfählen, eine Zahl, die wohl nicht nur den heimischen Brutbestand umfasst, sondern auch Zuzügler aus anderen Regionen. Vom Kachliner See rief ein Kranichpaar, nahebei hatte ein Raubwürger ein Winterrevier bezogen, mindestens sechs Wiesenpieper zogen durch und erstaunlicherweise eine sehr späte Heidelerche, glücklicherweise kurz singend, sonst wäre sie wohl übersehen worden. In den beerenreichen Hecken entlang des Spurplattenweges saßen mindestens 50 Wacholderdrosseln und 20 Amseln, auf den Wiesen ca. 200 Stare. Die leisen, aber deutlich trompenartigen Rufe zweier Gimpelmännchen der sibirischen Unterart ließen sich aus einem Weidengebüsch vernehmen.

Sonnenschein im Thurbruch / Foto: NABU Insel Usedom, Bernd Schirmeister
Sonnenschein im Thurbruch / Foto: NABU Insel Usedom, Bernd Schirmeister

Thema verfehlt? - Ach so, Gänse wurden natürlich auch gesehen und gezählt. Nirgendwo richtig viele, aber überall welche. Etwas unerwartet waren allerdings die über 1000 Weißwangengänse im Lieper Winkel. Einen Überblick über das ganze Gegacker gibt es hier:

Ort Art Anzahl genutzte Kultur
 Kölpinsee Graugans 140 Grünland
  Blässgans 480 Grünland
  Weißwangengans 3 Grünland
Pudagla Graugans 780 Wintergetreide
  Blässgans 160 Wintergetreide
Dewichow Graugans 90 Wintergetreide
  Blässgans 18 Wintergetreide
  Waldsaatgans 12

Wintergetreide

Liepe Graugans 310

Raps

  Blässgans 340

Raps

  Tundrasaatgans 23

Raps

  Weißwangengans 1140

Raps

Thurbruch Graugans 72

Grünland

  Blässgans 280

Grünland

  Tundrasaatgans 7

Grünland

Gänseansammlung auf Raps bei Liepe / Foto: NABU Insel Usedom, Bernd Schirmeister
Gänseansammlung auf Raps bei Liepe / Foto: NABU Insel Usedom, Bernd Schirmeister

Intensiv wurden die rastenden Gänsetrupps nach Individuen mit Farbringen durchsucht, erfolgreich, wenngleich auch etwas geizig mit Ringen. Bei Liepe konnten zwei Graugänse mit gelben Ringen aus einem polnischen Beringungsprojekt, die miteinander verpaart waren und im Thurbruch eine Blässgans mit schwarzem Ring aus einem holländischen Projekt abgelesen werden.

Ach ja, zum Abschluss der Zählung gab es sogar noch ein wenig Sonne.

Bericht und Fotos: Bernd Schirmeister