Zeigt her Eure Füße...

Das Rätsel des Vogelzuges

Tierwanderungen faszinieren und beschäftigen die Menschen schon seit alters her. So nahm man früher an, wenn im Herbst die Schwalben verschwunden waren, dass sie im Schlamm der Teiche überwinterten. Oder der Kuckuck verwandle sich im Herbst in einen Sperber. Erst als einzelnen im Frühjahr heimkehrenden Weißstörchen Pfeile afrikanischer Ureinwohner im Gefieder steckten, dämmerte es den Menschen, dass der Vogelzug doch eine etwas andere Dimension hat.

 

Ursachen dieser viele Millionen Individuen umfassenden Massenwanderungen sind Kälte und vor allem Nahrungsmangel im bevorstehenden Winter, so dass sie gezwungen sind, ihre Brutheimat zu verlassen und die kalte Jahreszeit in wärmeren Gefilden zu verbringen. Dabei halten sich viele Arten nur relativ kurze Zeit in Mitteleuropa auf, um den durch die Wärme begünstigten Insektenreichtum zur Aufzucht der Bruten zu nutzen. So kommt der Mauersegler z. B. Anfang  Mai wieder aus dem Winterquartier zurück, um schon Ende Juli, also mitten im Sommer, wieder abzuziehen. Bei den Rauch- und Mehlschwalben sind es ein paar Wochen mehr von Mitte April bis in den September. Selbst die bekannten Lachmöwen packen sofort nach Ende der Brutzeit mit dem Flüggewerden der Jungen zusammen, verlassen nicht nur die eigentliche Brutkolonie, sondern ziehen oft schon direkt in ihre west- und südwesteuropäischen Winterquartiere und tauchen dann in Holland, am englischen Ärmelkanal, an der französischen Atlantikküste oder auf spanischen Mülldeponien auf.  Wohlgemerkt, im Juli, wenn hier der Sommer meist erst richtig durchstartet. D. h., die Sommermöwen am Strand sind oft keine einheimischen, sondern Durchzügler aus Skandinavien, dem Baltikum und Russland. 

Leuchtturm, Greifswalder Oie
Leuchtturm Greifswalder Oie / copyright: NABU Insel Usedom, Jana Freitag

Die wissenschaftliche Erforschung des Vogelzuges begann 1899, als der dänische Ornithologe Hans Christian Mortensen Stare mit Metallringen an den Beinen beringte. Schon diese ersten Beringungen erbrachten interessante Ergebnisse.

 

Im Jahre 1901 begann der weltbekannte Ornithologe Johannes Thienemann auf der Kurischen Nehrung in Rossitten (heute Rybatschi, Oblast Kaliningrad, Russland) mit systematischem Fang und der Beringung von Vögeln. Hier gründete er auch die erste deutsche Vogelwarte. Die Ergebnisse waren Aufsehen erregend und bald nahm der Erkenntnisgewinn bei vielen Arten über Ursachen und Ablauf des Vogelzuges enorm zu.

 

Heute gibt es in Deutschland drei Vogelwarten: Hiddensee (Beringungszentrale in Güstrow  im Landesamt für Umwelt, Naturschutz und Geologie, für die neuen Bundesländer zuständig), Helgoland (in Wilhelmshaven an der Nordsee) sowie in Radolfzell in Bayern.

 

Die Methode der Markierung von Vögeln mit Metallringen am Bein ist auch heute noch eine verbreitete Methode. Sie hat den Vorteil, dass an wissenschaftlichen Fangstationen hunderte und tausende Vögel markiert werden können. Die nächste derartige Fangstation in unserer Region befindet sich auf der Insel Greifswalder Oie und kann im Rahmen von Führungen besichtigt werden. Auch auf der Nordseeinsel Helgoland wird eine große Fangstation betrieben, aber auch im deutschen Binnenland gibt es viele Fangplätze an denen standardisierter wissenschaftlicher Vogelfang betrieben wird. Dabei darf das nicht jeder Interessierte machen. Es ist ein Lehrgang notwendig, der mit einer Prüfung und dem Erwerb der Beringerlizenz abschließt. Neben der richtigen Handhabung des Equipments, Messmethoden am Tier (Alter, Geschlecht, Gewicht, Flügel- und andere Maße, Fettdeposition) gehören dazu auch Fragen des Tierschutzes.

 

Die Metallringe haben allerdings den Nachteil, dass sie meist recht klein sich, sich draußen oft nicht ablesen lassen, so dass man auf einen Wiederfang des Vogels oder auch Totfunde hoffen muss, um Daten zu erhalten. Das ist nur bei einem sehr kleinen Anteil der beringten Vögel der Fall. Deshalb wurde schon frühzeitig an weiteren Möglichkeiten der Markierung geforscht. Dazu gehören farbige Ringe mit einem Buchstaben-Zahlencode, die mit einem Fernglas oder Spektiv  im Gelände abgelesen werden können. Gänse und Singschwäne werden z. B. in größerer Zahl so markiert, um ihre Wanderungen in Raum und Zeit zu erforschen. Im Internet kann man sich unter www.geese.org über die verschiedenen Programme und ihre Ergebnisse informieren. 

Auch Möwen werden als Jungvögel in den Brutkolonien gefangen und farbmarkiert. Davon soll im Folgenden noch die Rede sein. Warum Möwen, das sind doch häufige Vögel? Genau aus diesem Grund! Beringungen seltener Arten bringen auch selten Wiederfunde. Erst häufige Arten bringen hohe Ablesezahlen. Nun können nicht nur Fragen nach dem warum, wohin, woher, wie lange beantwortet werden, sondern auch viele Detailfragen.

 

In einer Lachmöwenkolonie gehören dazu z. B. Fragen zur Altersstruktur der Population, zum Brutalter, zu Bruterfolg, Partnertreue, Nistplatztreue, Einzugsgebiete zur Nahrungssuche und deren Habitatstruktur oder Umsiedlungen in andere Kolonien. 

 

Völlig neue Möglichkeiten der Vogelmarkierung ermöglichte die Satellitentelemetrie. Vögel werden mit Sendern ausgestattet, die am Vogel befestigt werden, ohne ihn zu behindern. Diese Sender liefern regelmäßige Signale. Nun bekam man nicht nur punktuelle Daten, sondern es war möglich, die Tiere aktuell auf ihren Wanderungen zu begleiten. Dadurch bekamen die Wissenschaftler genaueste Einblicke in die physiologischen Leistungen der Tiere während des Zuges, über Flugrouten, den zeitlichen Verlauf, selbst innerhalb der einzelnen Tage, über Zugetappen, Rastgebiete und Rastplätze. Bei vielen Arten konnten nun auch endlich die Winterquartiere im tropischen Afrika genau definiert werden. Für einzelne Arten, wie den vom Aussterben bedrohten Seggenrohrsänger, konnten auf dieser Basis Schutzgebiete ausgewiesen werden.

 

Auch der Verfolgung, dem Fang und Abschuss Unmengen von Zugvögeln während des Zuges konnte nun zielgerichteter nachgegangen werden, bis hin zu politischer Einflussnahme auf diese Länder, den Schutz wandernder Tierarten deutlich zu verbessern. Denn der beste Schutz unserer heimischen Zugvögel kann hier im Brutgebiet nicht gelingen, wenn nicht gleichzeitig ihre Zugrouten, Rastplätze und die Winterquartiere geschützt werden und dieser Schutz auch vor Ort durchgesetzt wird.

 

Ein Ausflug zum Strand lohnt sich auch deshalb immer:

Da werde ich von den Möwen schon erwartet. Habe ich eine Tüte in der Hand, sind sie gleich zur Stelle. Am liebsten möchten meine gefiederten Freunde in der Luft gefüttert werden. Aber um ihre Ringe an den Beinen zu identifizieren, müssen die Vögel sich auf den Sand platzieren. Also werfe ich das Brot auf den Sand. Nachdem ich die Möwen auf die Erde dirigiert habe, halte ich schon die Kamera bereit, um die beringten Vögel in den Kasten zu bekommen. Und schöne Beine haben sie ja.

Da man selbst nicht der einzige Strandbesucher ist, kommt es manchmal zu höchst unwillkommenen Störungen, die manche Vorfreude auf eine interessante Ablesung verhagelt. Leute mit Hunden, am liebsten freilaufend, Jogger, die nur geradeaus laufen können oder spielende Kinder sind die größten Feinde des Ablesers. Manche Menschen sind offenbar auch der Meinung, die Möwen wären von der Kurverwaltung zur Volksbelustigung an den Strand gestellt. Dass die Tiere dort in Ruhe gelassen werden wollen - man selber hantiert ja auch vorsichtig mit Kamera und Fernglas - kommt ihnen nicht in den Sinn. Und dann wird erstmal alles hochgescheucht, was den Möwen spätestens nach dem dritten Mal auch gehörig auf die Federn geht.

 

Möwen ablesen ist auch eine äußerst bewegungsintensive Tätigkeit. Vor allem am polnischen Strand ist Möwenfüttern Volkssport. Man hat gerade eine erkleckliche Anzahl Möwen an den Platz gelockt - man will sie ja nicht mästen, sondern nur anlocken - kommt an einem 200 m weit entfernten Strandabgang jemand mit einer Alditüte voll Brot. Da bin ich der Konkurrenz unterlegen. Also ganze Abteilung kehrt und hinterher. Ist man angekommen, ist die Alditüte leer. In dem Moment kommt jemand 200 m weiter mit einer Alditüte voll Brot an den Strand…  Das bringt Kondition, hält aber manchmal die Anzahl der Ablesungen in Grenzen.

 

Manchmal vereiteln natürliche Hindernisse die Ablesung, wie die folgenden Fotos zeigen. Also erstmal Füße waschen!

Aber es lohnt sich immer, die Resultate sind interessant bis spannend. Die die Usedomer Strände genau auf einer Hauptzugroute der Tiere liegen, kommt man nie ohne Ausbeute nach Hause.

Manchmal ist die Trefferdichte hoch.

Sportlich? Oder verliebt? Wohl eher letzteres, denn diese Lachmöwe ist schon voll ins Brutkleid gemausert und eifrig mit Balzen beschäftigt.

Auch Stockenten werden beringt, hier ein Männchen mit einem Metallring:

Oder Nebelkrähen. Für diese Art  haben die polnischen Ornithologen sowohl ein Programm mit Metallringen als auch eins mit Farbberingungen aufgelegt.

In Swinemünde auf der polnischen Seite Usedoms macht es besonders Spaß, die beringten Möwen, Schwäne, Enten und Krähen abzulesen, denn hier sind viele markierte Vögel anzutreffen. Das liegt daran, dass die westpommerschen polnischen Beringer hier sehr aktiv sind. Und wo viel beringt wird, kann auch viel abgelesen werden. 

 

Denn viele der beringten Vögel sind sehr ortstreu. So kommen die Nebelkrähen fast täglich an den Strand, weil hier oft Leckerlis für sie angespült werden oder sie von den Fütterungen profitieren wie die Höckerschwäne.

 

Besonders interessant ist dieses Phänomen jedoch bei den Möwen. Sie sind in der Lage, äußerst exakt in Raum und Zeit zu navigieren. Das bezieht sich einerseits auf die Brutkolonien, wo sie im Frühjahr wieder pünktlich nach längerer Anreise eintreffen und ihr Nest oft genau am gleichen Standort bauen wie im Vorjahr. Das bezieht sich andererseits aber auch auf die Zugwege und Rastplätze, denen sie über Jahre treu bleiben und bei ihren Wanderungen dort oft auf den Tag genau wieder eintreffen. Warum sie das so exakt machen, ist einem selbst nicht ganz klar, denn der Strand im Nachbarseebad sieht genauso aus. Sie tun es aber. Jeder Strand hat seine Möwen. Im bereits im Hochsommer beginnenden Wegzug herrscht dabei eine hohe Dynamik. Die Vögel treffen ein, rasten, fressen sehr viel, um sich Fettreserven für den Weiterflug anzulegen und wenn der Abflugtermin herangerückt ist, ziehen sie auch weiter, während bereits neue Kandidaten eintreffen. Einige bleiben auch über Winter, was den Vorteil hat, dass die lange Wanderung wegfällt, aber auch den Nachteil, dass in härteren Wintern das Futter knapp werden kann.

 

Die Homepage der polnischen Beringungszentrale in Gdansk/Danzig ist sehr benutzerfreundlich aufgebaut. Und innerhalb von zwei Tagen bekommt man die Rückmeldung der Ablesungen. Trotz inzwischen auch elektronischer Eingabemöglichkeit dauert das in Deutschland leider oft deutlich länger. 

 

Hier mal eine Rückmeldung. Diese Lachmöwe wurde am 19.08.21 am Swinemünder Strand beringt. Am 4.11.2021 lief sie mir am Swinemünder Strand vor die Kamera. Nun hat sie sich einen Platz in Breslau gesucht.

Was ist nun zu tun, wenn man als Besucher auf einen beringten Vogel trifft und die Ringkombination ablesen kann oder auch auf einen beringten Totfund stößt?

 

  • Man kann selbst aktiv werden und den Ring melden. Das geht am besten über die Homepage der Beringungszentrale: www.beringungszentrale-hiddensee.de . Mitgeteilt werden sollte die Vogelart, unbedingt Ort und Datum und natürlich die Ringfarbe und -nummer. Von dort bekommt man dann später die Beringungsdaten des Vogels und, wenn noch weitere Ablesungen vorliegen, u.U. einen ganzen Lebenslauf des gesehenen Vogels.
  • Bei einem Totfund sollte der Ring sichergestellt werden oder zumindest die Nummer und die Vogelwarte notiert werden für die nachträgliche Meldung an die Beringungszentrale.
  • Oder sie kontaktieren ein Mitglied der Usedomer NABU-Regionalgruppe, z. B. Bernd Schirmeister (Tel.: 038378/31358) bzw. per E-Mail

Bericht und Fotos: Marisa Kaster, Bernd Schirmeister