Was lange währt...

...kann endlich gut werden

Die Arbeit im Naturschutz zeigt es uns immer wieder: sie braucht meist einen langen Atem. Das hängt ausnahmsweise mal nicht nur damit zusammen, dass wir Menschen zu träge, zu uneinsichtig oder anderes sind. Nein ein wichtiger Grund dafür ist, dass natürliche Prozesse für unser menschliches Empfinden meist sehr lange dauern. Beispielsweise liegen Aussaat und Ernte zeitlich weit auseinander, es dauert oft lange, bis die Folgen von Schadstoffeinträgen am Pflanzenwachstum erkennbar sind und es dauert noch viel länger, wenn dieser Prozess umgekehrt werden soll. Wer die Diskussionen hier in MV um den Nitratgehalt im Trinkwasser aufmerksam verfolgt, dem wird dieser Zusammenhang schnell klar.

 

Auch in unseren Schutzgebieten haben wir mit „Zuviel“ oder „Zuwenig“ für die Vegetation und dem langwierigen Kampf, ein Optimum herzustellen, zu kämpfen. Gerade in Schutzgebieten fallen diese Fakten auf, denn durch die regelmäßige Betreuung können Veränderungen meistens schnell erkannt werden. Mit der Wiederherstellung eines guten Zustandes dauert es oft quälend lange.

 

Im Naturschutzgebiet „Südspitze Gnitz“ ist das nicht anders. Jedoch können wir uns hier in diesem Jahr aber über einen Erfolg freuen, dem jahrzehntelange Hartnäckigkeit und sehr viel Arbeit voranging:

 

An einzelnen Stellen im Schutzgebiet waren in den ausgehenden 70-er Jahren Kuhschellen (Pulsatilla pratensis) zu bewundern. Wolfgang Nehls, seit vielen Jahrzehnten mit dem Gebiet vertraut und seit der Unter-Schutz-Stellung Betreuer des NSG, musste zehn Jahre später konstatieren, dass es keine Kuhschellen mehr auf dem Gnitz gibt. Was war geschehen, wodurch verschwanden sie? Wie kann man dafür sorgen, dass sie dort wieder blühen? 

In Naturschutzgebieten gibt es viele Zuständigkeiten, erst recht, wenn es verschiedene Flächen-Eigentümer gibt, wie auf dem Gnitz. Das hat seinen guten Sinn, macht das Arbeiten aber oft kompliziert. Auch geraten aktuellere Probleme schnell in den Vordergrund und kleine Blumen, an die sich kaum noch jemand erinnert, geraten schneller in Vergessenheit, als man denkt. Aber Wolfgang Nehls blieb dran, immer wieder sprach er mit Verantwortlichen, mit möglichen Helfern, weckte das Interesse und Hilfsbereitschaft.

 

Die Ursachenforschung für solche Vegetationsrückgänge ist schwer. Pflanzen können noch weniger reden als Tiere, zumal die Kuhschellen ja verschwunden sind. Unzählige Gespräche mit den unterschiedlichsten Fachkräften fanden statt. Wolfgang Nehls holte sie alle ins Boot - Mitarbeiter der Unteren Naturschutzbehörde wie auch die der Oberen Naturschutzbehörde und der Forst beteiligten sich an der Ursachen- und Lösungsfindung. Wie sieht es mit den Beständen an anderen Orten aus? Wie sind die Bodenverhältnisse? Nährstoffe? Wasser? Oft ist das Zusammenspiel verschiedener Faktoren wichtig. Wer einmal nach dem Auslöser einer Allergie suchen musste, ahnt dass solch eine Suche langwierig ist.

 

Sukzessionen, Konkurrenzdruck oder Einwanderung neuer Arten konnten an diesem Standort ausgeschlossen werden. So konzentrierte man sich auf die Bodenbeschaffenheit. Kuhschellen brauchen kalkhaltigen, nährstoffarmen Boden. Diese Bedürfniskombination findet sich bei vielen Pflanzenarten, die landauf, landab im Rückzug begriffen sind. Zu starker Nährstoffeintrag verdrängt diese Pflanzen. Saurer Regen oder auch Aufwuchs von Bäumen, deren Blätter im Laufe der Zeit eine Humusschicht bilden oder auch Nährstoffeintrag über das Wasser oder mit dem Wind von umliegenden landschaftlichen Flächen können die Ursachen sein. Auf dem Gnitz haben Bodenproben ergeben, dass die Bodenoberschicht an den betreffenden Stellen tatsächlich zu nährstoffhaltig war. So konnten nicht einmal die Samen der Kuhschellen keimen. 

Damit der Boden für die Kuhschellen wieder passend wird, bediente man sich einer einfachen Methode. Der Landwirt, der das Gebiet bewirtschaftet, schob mittels großen Geräts einfach zehn Zentimeter des Oberbodens ab. Solche Eingriffe müssen natürlich mit allen Beteiligten abgestimmt werden. Und alles nur für eine Blume? Ja, alles für eine Blumenart, die zur Fülle des ökologischen Systems auf dem Gnitz gehört. Das war den Beteiligten wichtig und den Aufwand wert.

 

In Zusammenarbeit mit den Naturparken Insel Usedom und Flusslandschaft Peenetal und der Flächenagentur MV wurde nach passenden Samen für eine Neuansiedlung von Kuhschellen im NSG Gnitz gesucht. Würde man z.B. Samen aus dem Gartencenter nehmen, können daraus zwar Kuhschellen wachsen, diese passen dann aber genetisch nicht ins Gebiet. So wurden Kuhschellen-Samen von anderen Schutzgebietsflächen in der weiteren Umgebung gesammelt. Teils wurden diese Samen direkt auf die vorbereiteten Flächen gesät, teils wurden sie unter geschützten Bedingungen vorgezogen und später gepflanzt. Dass diese Arbeiten nur in bestimmten Zeitfenstern erledigt werden können und bei Misserfolg auf das nächste Jahr verschoben werden müssen, macht das Dranbleiben nicht leichter.

 

Leider klappt es in der Natur oft nicht wie geplant, auch wenn alle an einem Strang ziehen. Jahre der Arbeit und des Misserfolgs folgten. Im März 2023 konnten wir bei einer Begehung wieder nur NICHTS entdecken. Sollten die Mühen umsonst gewesen sein? Es war auch das Wissen darüber, ob Kuhschellen im Winter zu sehen sind wie beispielsweise Löwenzahn, von dem auch im Winter eine Blattrosette zu sehen ist, oder ob von ihnen im Winter nichts zu sehen ist, verloren gegangen.

 

Und dann die Überraschung: Mitte April konnten wir die ersten blühenden Kuhschellen im Schutzgebiet entdecken! Für alle, die über so viele Jahre an diesem Projekt mitgearbeitet haben, ist das ein großer Erfolg, allen voran Wolfgang Nehls, ohne dessen Hartnäckigkeit das wohl nicht gelungen wäre. Statt kontinuierlichem Rückgang haben wir nun eine Pflanzenart mehr auf dem Gnitz, vielleicht sogar auf der Insel?

 

Es ist aber auch eine Ermutigung für alle im Naturschutz Tätigen, eine Ermutigung zum Durchhalten trotz Gegenwind und Ermüdung, und eine Ermutigung, immer wieder das Gespräch, die Zusammenarbeit mit anderen Akteuren zu suchen.

 

Mit diesem Erfolg ist die Arbeit natürlich noch nicht beendet. Der Bestand muss kontinuierlich kontrolliert werden, das sogenannte Monitoring. Bei Veränderungen in Anzahl oder Vitalität der Pflanzen müssen zeitnah die notwendigen Schritte zur Verbesserung eingeleitet werden. Es bleibt uns noch genügend Arbeit. Aber vorerst würzen wir uns diese mit der Freude an dem Erfolg, denn: Was lange währt, wird manchmal sehr gut!

Text: Kathrin Räsch

Fotos: Kathrin Räsch, Kai Paulig