Diese Exkursion hatte unsere NABU- Gruppe bereits für das vergangene Jahr geplant, was Regen und Sturm jedoch verhinderten. Nun passte das Wetter, moderate Temperaturen, kaum Wind, viele Wolken, aber später auch noch Sonnenschein.
Am 05.Oktober 2024 trafen sich 13 Mitglieder und Freunde der Usedomer NABU - Gruppe um 13.00 Uhr in Bargischow. D. h., dahin kamen wir zuerst gar nicht, denn bereits vor dem Ort hatten sich auf einem abgeernteten Maisfeld nahe der Straße hunderte Kraniche versammelt. Also wurden Spektive, von denen wir komfortable vier Stück dabei hatten, und Ferngläser scharf gestellt. Die Vögel ließen sich prima beobachten. Gut erkennen konnte man die diesjährigen Jungvögel, denen noch die kontrastreiche schwarz-weiß-rote Kopfzeichnung fehlt. Sie haben bräunliche Köpfe und halten sich bei der Futtersuche dicht an ihre Eltern.
Bei uns hatten die Kraniche nach mehreren schlechten Jahren in diesem Jahr fast überall gute Bruterfolge. Das Frühjahr war niederschlagsreich, so dass Seeufer, Brüche, Sölle und andere Brutplätze hohe Wasserstände aufwiesen, der beste Schutz der Bodenbrüter gegen Prädation durch Füchse und Wildschweine. Aber auch in Skandinavien und dem Baltikum war das offenbar ähnlich, denn wir konnten zahlreiche Familien mit einem oder zwei Jungvögeln sehen.
Nun aber zum Treffpunkt, wo noch zwei Gäste aus der Schweiz zu uns stießen, die ebenfalls an der Exkursion teilnehmen wollten. Also herzlich willkommen. Sie sollten sich schnell als angenehme und sehr interessierte Bereicherung herausstellen, die mit guter Artenkenntnis punkten konnten.
Die weitläufigen Bargischower Wiesen sahen auf den ersten Blick nicht sehr vielversprechend aus, doch das täuschte. Greifvögel wie Rotmilane, Seeadler und Turmfalken waren auf Jagd. Wiesenpieper ließen überall ihre Rufe hören, letzte Rauchschwalben waren beim Insektenfang und Feldlerchen zogen. Allerdings unterliegen die Wiesen momentan umfangreichen Veränderungen. Manche Grünlandflächen sind nicht gemäht und fallen so als Rast- und Nahrungsplätze für Gänse aus. Eine asphaltierte Straße wurde quer durch die Wiesen neu gebaut, im Zusammenhang mit einem Wiedervernässungsprojekt als Ausgleichsmaßnahme, das jedoch durch den Konkurs von NordStream nun nicht weitergeführt wird. Die starke Zerschneidung der Landschaft trifft jetzt aber alle Arten mit großen Raumansprüchen und hohen Fluchtdistanzen. In den südlichen Wiesen ist im nächsten Jahr auf 500 ha ein Paludikulturprojekt geplant.
Unser nächstes Ziel war der Polder Kamp West, mit 287 ha Größe ein wichtiger Teil der weiträumigen, aquatischen Großlandschaft nördlich und südlich der Peene. Deren Ursprünge gehen auf das extrem starke Sturmhochwasser vom 04./05.11.1995 zurück. Damals brachen am Haff die Deiche und die dahinter liegenden Grünlandpolder liefen voll Wasser. Da diese Flächen infolge der Moorsackungen unter Meeresspiegelniveau liegen, konnte das Wasser nicht wieder ablaufen. Nach mehreren Jahren Streit wurde schließlich entschieden, diese Flächen aus der Nutzung zu nehmen und der natürlichen Entwicklung zu überlassen, was sie naturschutzfachlich ungemein wertvoll macht. Denn ungenutzte Flächen mit natürlicher Dynamik sind ein rares Gut.
Vom großen Artenreichtum konnten wir uns heute selbst ein Bild machen. Von der Brücke über die Rosenhäger Beek hatte man einen guten Überblick über den Polder. Auf dem Wasser ließen sich verschiedene Gründelentenarten wie Schnatter-, Löffel-, Pfeif- und Spießenten beobachten. Auffällig waren die Mengen an Silberreihern, die den Fischreichtum des Polders nutzten und abends ebenfalls in die umliegenden Bäume zum Schlafen flogen. Die abgestorbenen Eichen saßen voll mit hunderten Kormoranen, die dort einen Schlafplatz haben und bis vor ein paar Jahren auch noch gebrütet haben.
Letzte Limicolen, wie Kiebitze, Bekassinen und Alpenstrandläufer, stocherten im Schlamm nach Nahrung. Andere, wie Kiebitzregenpfeifer und Dunkelwasserläufer, ließen sich nur hören. Gleich vier Gänsearten ruhten im Polder. Graugänse waren am zahlreichsten. Unter ihnen ließ sich ein farbberingtes Ind. ablesen. Der Einflug nordischer Gänse verlief bis jetzt sehr zögerlich und unauffällig. Aber einige Bläss-, Weißwangen- und Tundrasaatgänse ließen sich zwischen den Graugansmengen beobachten.
Es war kurzweilig, weil es ständig etwas Neues zu sehen und zu hören gab und dank der guten Optik auch schön beobachten ließ, so dass jeder etwas für seine Artenkenntnis tun konnte und die Zeit schnell verging.
Also weiter. Am kleinen Polder Anklamer Fähre legten wir nur einen kurzen Zwischenstopp ein. Da der Polder tiefer ist, gab es hier auch Zwergtaucher und Blässrallen zu beobachten. Bartmeisen machten ständig durch ihre Rufe auf sich aufmerksam, blicken ließen sie sich jedoch nur selten. Ein Höhepunkt war hier eine späte, nahrungssuchende diesjährige Weißbartseeschwalbe. Da im Peenetal in diesem Jahr trotz Anwesenheit der Art keine erfolgreichen Bruten stattgefunden hatten, musste es sich um einen Durchzügler handeln.
Nächster Stopp war am Polder Kamp Ost, der eine Größe von 80 ha aufweist.
Aber zunächst ging es zu den Resten der Karniner Hubbrücke am Strom, die 1945 zerstört wurde. Einstmals Teil der schnellen Verbindung von Berlin nach Swinemünde ist sie heute technisches Denkmal. Auf dem beeindruckenden Metallriesen brüten u. a. aber auch Turmfalken und Dohlen. Einige Mantelmöwen und zahlreiche Kormorane ruhten auf den rostigen Metallstreben.
Auf dem Schotterbett des ehemaligen Eisenbahndammes wanderten wir nun entlang des Polders. Hier gibt es einige kleine Torfinseln, die während der Brutzeit von Lachmöwen, Flussseeschwalben und verschiedenen Limicolen zum Brüten genutzt werden. Jetzt rasteten dort Steppenmöwen und letzte Raubseeschwalben. Was für beeindruckende Vögel mit ihren mächtigen knallroten Schnäbeln!
Gegen 17.00 Uhr wurde es höchste Zeit, den Rückweg zum Polder Kamp West anzutreten, denn wir erwarteten den Einflug der Kraniche zum dortigen Schlafplatz. Den Platz auf der Brücke kannten wir ja bereits vom Nachmittag. Schnell noch eine Tasse Kaffee und ein paar von Edeltrauts leckeren Keksen.
Dann traf Jörg Mohnhaupt aus Anklam ein, der seit vielen Jahren an den Zählungen der Kranichrastbestände als Teil der landesweiten Zählkulisse teilnimmt. Neben dem Polder Kamp West gibt es Schlafplätze im südlichen Peenetal auch in den Poldern Anklam West und Bugewitz. Die Zählungen müssen unbedingt synchron an einem Abend durchgeführt werden, da die Zahlen in Abhängigkeit von den umliegenden Nahrungsflächen, dem Wasserstand der Polder und/oder Störungen kurzfristig stark schwanken können. D. h. es sind drei Personen allein hier notwendig und das während der gesamten Zugzeit von August bis November.
Oft bleibt den Kranichen auf den abgeernteten Maisfeldern nur wenig Zeit zum Fressen, weil die Landwirte bald mit nachfolgenden Arbeiten und der Wiederbestellung starten. Dann müssen sie weiterziehen. Die Friedländer Große Wiese mit den riesigen Maisschlägen und dem Galenbecker See als Schlafplatz ist nicht weit. Doch auch hier kommen sie nicht ungezählt davon.
Auch ohne Kraniche war es ein phantastischer Abend, nun fast windstill, mit einem glühenden Sonnenuntergang und aus den feuchten Wiesen aufsteigendem flachen Nebel.
Dann kamen drei Kraniche und einige unkten schon, ob das alles wäre.
Unsere Geduld wurde auf die Probe gestellt. Durch das immer noch recht helle Licht verspäteten sich die Objekte unseres Interesses erheblich.
Immer wieder suchten wir mit den Ferngläsern potentielle Anflugrichtungen ab.
Da, da sind sie doch! Noch nicht zu hören, aber als Schatten im Anflug auch auf die Entfernung gut zu erkennen, Massen. Einige hundert schwenkten in den Polder ein- und drehten wieder ab. Noch zu früh. Man traf sich erst an den Vorsammelplätzen in der näheren Umgebung. Wieder warten.
Aber jetzt startete das Spektakel. Und jetzt waren sie auch eher zu hören als zu sehen. Kette auf Kette flog in geringer Höhe heran, laut trompetender, tausendstimmiger Chor, dazwischen die hohen fiependen Rufe der Jungvögel, die Stimmkontakt zu ihren Eltern hielten. Was für eine unglaublich beeindruckende Akustik. Gruppe auf Gruppe schwenkte nun ein, in immer dichterer Folge.
Jörg hatte seine Mühe beim konzentrierten Zählen, während wir einfach nur genießen konnten. Sagen und erklären musste man nichts mehr, einfach nur schauen und hören. Und begeistert staunen. Von Minute zu Minute steigerten sich Mengen und der damit verbundene Geräuschpegel. Es nahm schier kein Ende. Inzwischen war es ziemlich dunkel geworden, aber der starke Flugverkehr hielt weiter an. Erst in völliger Dunkelheit kamen die letzten Kraniche zum Schlafplatz, an dem es zwar etwas ruhiger, aber keineswegs ruhig geworden war. Es sind eben während des Zuges soziale Vögel und so gab es reichlich Neuigkeiten auszutauschen.
Und jetzt die Zahlen. Während Jörg am 28.09.2024 im Polder Kamp West 3490 Kraniche gezählt hatte, waren es heute, nur eine Woche später, gewaltige 15700 Vögel. Insgesamt rasteten über 21000 Kraniche im südlichen Peenetal.
Die Speicherkarte voll mit Fotos, den Kopf voll mit tollen Erlebnissen und Eindrücken war es nun Zeit für den Heimweg.
Bericht: Bernd Schirmeister
Fotos: Marisa Kaster, Winfried Becker, Lena-Marie Rieseweber, Jana Freitag